Wo das 2. Gebot in Stein umgesetzt wurde

Emden. Die Neue Kirche ist vor einem Monat 375 Jahre alt geworden (KiE berichtete). Das war Anlass für 1820dieKUNST, ihre Neue Dienstagsrunde in die Kirche zu verlegen, wo Pastor Christian Züchner einen Vortrag über jenen Abschnitt Emder Geschichte hielt, der zum Bau der Kirche führte, und dann die Kirche selbst vorstellte. Der Bauverein Neue Kirche bezog zur Sanierung von 2012/13 Stellung. Die anwesenden 17 Besucher hatten im Anschluss Gelegenheit, den riesigen Dachboden zu besichtigen, der ursprünglich mit den beiden Gewölben der Kirche ausgefüllt war.

Wenige, aber sehr interessierte Zuhörer waren in die Neue Kirche gekommen und hörten den Vortrag von Pastor Christian Züchner

Warum eine neue Kirche? Emdens Bevölkerung wuchs im 16. und 17. Jahrhundert enorm – auch durch die Eingemeindung Falderns und die Flüchtlingsbewegung. Die zwei vorhandenen Kirchen, die Große Kirche und die Kirche des Franziskanerklosters, reichten für die Gläubigen nicht mehr aus. Zudem galt Faldern als von „Sekten“ durchzogen. Ein fünfter Prediger sollte in einer neuen Kirche direkt vor Ort für reformierten Geist sorgen.

Wie verlief die Planung? Bereits 1607 gab es ein Konzept für eine neue Kirche auf Faldern. Die wirtschaftliche und politische Situation Emdens, so sagte Züchner, sei aber so gewesen, dass man das Projekt immer weiter hinausschob. Schließlich erklärte der Magistrat, dass Emden das Geld für einen Neubau nicht aufbringen könne. Wollten die Reformierten eine Kirche, sollte das Geld dafür auch aus ihren Reihen kommen. Doch die Gaben der Gemeinde fielen geringer aus als erwartet. Schließlich bat man auch die mennonitische und die jüdische Gemeinde um Geldspenden, weil der Neubau einen Turm tragen sollte, von dem alle Gemeinden im Stadtteil profitieren könnten. 31 Jahre dauerten die Vorbereitungen. 1643 wurde der Grundstein gelegt, 1646 war der Bau abgeschlossen, 1647 kamen die Glocken in den Turm. Am 8. Februar 1648 fand der erste Gottesdienst statt.

Muss renoviert werden: der kleine Turmaufbau

Warum hat die Neue Kirche einen Grundriß in T-Form? Baumeister Martin Faber (1587 bis 1648), der zugleich Maler, Graphiker und Kartograph, später auch Ratsherr, war, ging in seinen jungen Jahren auf Bildungsreise, unter anderem entdeckte er in Italien den Architekten Andreas Palladio, dessen Bauten von einzigartiger Harmonie und Eleganz geprägt sind. In den Niederlanden sah er die Bauten des Hendrick de Keyser, speziell dessen Noorderkerk in Amsterdam, die über einem griechischen Kreuz errichtet wurde. Auf dem Platz in Emdens Brückstraße baute Faber die Neue Kirche direkt an einer der Hauptzufahrten in die Stadt. Dabei musste er auf den Ausbau eines vierten Kreuzarms verzichten. Christian Züchner hat seine eigene Theorie, warum die Kirche nicht weiter zurückgesetzt auf dem Kirchhof mit vier Kreuzarmen gebaut wurde. So sei nämlich ein mächtiger Südgiebel entstanden, der Eindruck machte und auf das in Emden vorrangige Reformiertentum hinwies, obwohl es statisch schwieriger war, die auf die Wandmasse wirkenden Kräfte abzuleiten. Immerhin sei das, auch durch den Aufbau des Gebäudes über einem Schwellenrost, gelungen. Bis heute sei diese Konstruktion stabil und tragfähig. Es entstand die erste reine Predigtkirche Norddeutschlands.

Was hat es mit dem 2. Gebot und der Neuen Kirche auf sich? Die Neue Kirche weist bis heute, getreu dem 2. Gebot „Du sollst Dir kein Bildnis machen“, keinerlei Schmuck auf. Statt eines Altars steht ein schlichter Abendmahlstisch da. Es gibt kein Kreuz noch eine sonstige Symbolik. Es könnte sogar sein, so meinte Christian Züchner, dass Baumeister Faber auch deshalb keinen vierten Kreuzarm plante, um das Gebot genauestens zu befolgen.

Gibt es noch Objekte, die zur Erstausstattung der Kirche gehörten? Ein einziges. Die sogenannte Böttcherkrone, die in der Mitte von drei Leuchtern im Innenraum der Kirche hängt. Zwei weitere Leuchten, alles Stiftungen von Gilden und Zünften, gelten als verloren. Zudem sind auch die Außenwände der Kirche samt den beiden Portalen im Nordwesten und Nordosten original. Ein Taufstein aus Jennelt (13. Jahrhundert) wurde von der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer zur Verfügung gestellt. Alles anderen Objekte, die Gewölbe, die Orgel, das Gestühl sind am 6. September 1944 verbrannt.

Vor der Zerstörung: die Neue Kirche an der Brückstraße

Wie hat die Neue Kirche ursprünglich im Innern ausgesehen? Als die Neue Kirche 1648 eröffnet wurde, gab es kein Gestühl und keine Orgel. Sitzen durften nur Höhergestellte, und der Gesang wurde von einem Kantor angeleitet. Gesungen wurden Psalmen. Orgel und Gestühl kamen erst im 18. Jahrhundert hinzu.

Welche markanten Veränderungen ergaben sich durch den Wiederaufbau? Die sich überschneidenden Tonnengewölbe wurden in den 50er Jahren nicht wieder errichtet, weil die räumlich gebeutelte Gemeinde – die Große Kirche verbrannte 1943, die Gasthauskirche schon 1938 – in der Neuen Kirche verschiedene Aufgaben bündeln wollte. Der Dachboden sollte unter anderem für die Bibliothek der Großen Kirche genutzt werden. Allerdings sah man schließlich aus statischen Gründen davon ab. Zudem wurde ein Querarm durch den Einbau einer Konsistorienkammer erheblich verkürzt. Diese war aber nötig, um Konfirmandenunterricht abzuhalten und dem Kirchenrat einen Raum für seine Sitzungen zur Verfügung zu stellen.

Alt und neu: die Mauern weisen deutliche Spuren auf, wo das alte Mauerwerk durch neue Steine ergänzt wurde

Der Bauverein Neue Kirche wurde vor 25 Jahren gegründet, um die Kirche zurück zu bauen. Die Schätzung für die Sanierung belief sich auf 900 000 Euro. Diese Summe zweifelte Diplom-Ingenieurin Elke Brüning an, als sie 2012 den Vorsitz des Vereins übernahm. Sie veranlasste eine Ausschreibung, wobei ein Kostenvolumen von 1,3 Millionen Euro errechnet wurde. Das Geld kam von der Stadt Emden, der reformierten Landeskirche, der Stiftung Niedersachsen, vom Land Niedersachsen, aus Spenden. Die Bauarbeiten begannen am 18. Juni 2012, dreizehn Monate später wurde die Kirche wieder eröffnet. Man hatte sich allerdings von der Idee, die Tonnengewölbe wieder einzubauen, verabschieden müssen. Abgesehen von den finanziellen Problemen hätte ein Gewölbe die akustische Qualität des Raumes zu stark verändert. Das war ein gewichtiges Argument, weil in der Neuen Kirche – abgesehen von Gottesdiensten – ein multifunktionales Kulturkonzept verwirklicht werden sollte. Nach der Innensanierung gelang auch die Verschönerung der Außenansicht. „Unser Versuch, die Kirche auch von außen zum Leuchtpunkt zu machen“ gelang unter anderem durch ein Lichtkonzept für Turm und Rundfenster und durch die Sanierung der insgesamt vier Portale.

Das nächste große Projekt steht an und ist, so Elke Brüning, durchfinanziert. Es geht darum, die Sanierung des Turms anzugehen. Bis 2025 muss diese durchgeführt sein, ansonsten verfallen die Förderzusagen.