Ein „betrübliches Jammerbild“

Die Grotian-Orgel aus Petkums Antonius-Kirche ist auf dem Weg zur Restaurierung nach Dresden. Orgelbaumeister Kristian Wegscheider und sein Team baute sie von Montag bis Mittwoch ab. Ein Besuch vor Ort und eine Begegnung der ostfriesisch-sächsischen Art.

Von Ina Wagner

Emden. Kristian Wegscheider (67) ist ein Norddeutscher, wie er unumwunden bekennt. Er lebt und arbeitet zwar in Dresden und kann auch Sächsisch – davon gibt es gleich eine Kostprobe -, aber sein Herz gehört der Ostseeküste, wo er geboren wurde. Daher resultiert auch seine Neigung für norddeutsche Orgeln, zu denen sich eine zweite Leidenschaft gesellt – nämlich die für den sächsischen Orgelbauer Gottfried Silbermann und seine Werke. „Aber dem norddeutschen Orgelbau fühle ich mich emotional immer noch besonders verbunden.“ Insbesondere die historischen Orgeln Ostfrieslands sind für ihn faszinierend, und so ging gleich die erste Dienstreise der noch jungen Werkstatt, die 1989 gegründet wurde, in den Nordwesten – in diese „tolle Orgellandschaft“.

Intensive Beratung von vier Orgelfachleuten: Hendrik Ahrend, Matthias Weißbach, Kristian Wegscheider, Winfried Dahlke. Bilder. Wagner

Dass ihm nun eines dieser historischen Instrumente anvertraut wird, hängt mit dem berühmten Orgelbauer Jürgen Ahrend und seiner Werkstatt in Loga zusammen.

Ahrend erregte weltweit Aufsehen, als er schon in den 50er Jahren eine Rückbesinnung auf traditionelle handwerkliche Techniken und musikalische Klangideale einleitete. Dazu gehört die mitteltönige Stimmung der alten Orgeln, die das Klangbild ihrer Entstehungszeit widerspiegelt.

Wegscheider lernte Jürgen Ahrend nach der Wiedervereinigung kennen. Der Ostfriese unterstützte dann den Aufbau der Dresdner Werkstatt derart, dass Wegscheiden den mittlerweile 91-Jährigen als „Ziehvater für meine Werkstatt“ betrachtet.

Als die lutherische Gemeinde Petkum nach einem Orgelbauer für die Restaurierung, Rekonstruktion und Erweiterung der verdorbenen Grotian-Orgel suchte, war der Wunsch, dass die Werkstatt Ahrend, die mittlerweile von Hendrik Ahrend geleitet wird, die Arbeiten übernimmt, vordringlich. Doch die Auftragsbücher der Logaer sind voll. So kam „Ziehsohn“ Wegscheider ins Spiel – und die Orgel damit nicht nach Loga, sondern nach Dresden. Per 7,5-Tonner übrigens.

Die erste Begehung Wegscheiders mit den Protagonisten der Sanierung in Petkum – Albert Kretzmer, Habbe Buisker, Hendrik Ahrend und Winfried Dahlke – ergab genau jene Ernüchterung, deretwillen die Petkumer mit ihrem Pastor Onno Schulz überhaupt angefangen hatten, über eine Restaurierung nachzudenken. Die Orgel funktionierte zwar – mehr oder weniger – aber das Klangbild war stark entstellt, sehr viel originale Substanz war verschwunden, der Originalbestand dementsprechend gering.

Gähnende Leere: der Abbau der Orgel von Petkum ist in vollem Gange: Matthias Weißbach, Winfried Dahlke und Albert Kretzmer.

Wegscheider fasst in seinem Vorbericht zum Kostenvoranschlag den Unterschied zwischen Schein und Sein so zusammen: „Wenn man aus dem Kirchenschiff die Orgel auf der Westempore betrachtet, so vermutet man …. eine gut erhaltene historische Orgel . Sieht man die Orgel dann oben genauer an, so zeigt sich doch eher ein betrübliches Jammerbild.“ Schuld an dem Dilemma: die rigide Vorgehensweise bei einer Restaurierung in den Jahren 1959 bis 1962. Da wurde nämlich der überwiegende Teil des ursprünglichen Pfeifen-Bestandes entfernt und durch Neuproduktionen ersetzt.

Wegscheider beurteilt die Ideologie dieser Zeit betreffend den Umgang mit historischen Instrumenten als „merkwürdig“. „Einerseits wollte man zurück zu einem alten barocken Klang, glaubte aber, dafür die Orgel modernisieren zu müssen.“ Ahrend, der zeitgleich gearbeitet und gezeigt habe, dass man „den alten Orgeln, ihrer überkommenen Technik und ihrem noch erhaltenen Pfeifenwerk vertrauen kann“, sei damals „die rühmende Ausnahme“ unter den Orgelbauern der Region gewesen.

Mittels eines Hubwagens werden die Orgelteile von der Empore ins Mittelschiff geschafft. Die Mitarbeiter der Orgelbauwerkstatt Wegscheider, Stephan Adler und Paul Ahrend, warten drauf, dass sie die Lade mit Einzelteilen in den Transporter laden können.

Nun kommt also eine völlig verdorbene Orgel nach Dresden – in Einzelteilen. Denn das Instrument ist entkernt, die Pfeifer sorgsam in großen Holzladen verpackt, das Gehäuse in Einzelteile zerlegt. Wenn sie zurückkommt, soll eine Verwandlung geschehen sein. „Sie wird etwas sehr Prachtvolles werden“, ist Wegscheider sicher. Und sie kann für die Petkumer Kirche noch sehr wichtig werden – als ein Instrument, das in den 800 Jahre alten Mauern von St. Antonius den Klang des 17. Jahrhunderts bewahrt.

Die Kirche von Petkum, die dem Heiligen Antonius geweiht ist.