Abend des Zwiespalts

Emden. Wenn ein Literat sich mit seiner eigenen Krankheit auseinandersetzt, vom Verlauf seiner Krankheit ein Tagebuch verfasst, und diese Aufzeichnungen zur Grundlage eines Radio-Features werden, dann ist das ein zwiespältiges Ding zwischen Neugier über den Verlauf der Erkrankung einerseits und Ekel über die hemmungslose Hingabe an ein sehr intimes Erkranken. Andreas Wojak aus Oldenburg hat sich diesem Zwiespalt ausgesetzt, als er sich von 1996 an sieben Jahre lang mit seinem Lymphdrüsenkrebs beschäftigte.

Das Radio-Feature vom Norddeutschen Rundfunk entstand 2005. Und jetzt war es in der Runde von etwa 50 Mitgliedern der Gesellschaft der Freunde der Johannes a Lasco Bibliothek und Gästen noch einmal in der Bibliothek zu hören. Nach Jahren und Monaten gegliedert, entspann sich – von Schauspielern gelesen – das Szenario der Krankheit, der Besserung, des Wiederaufflammens, der Verzweiflung, der Hoffnung, der Skepsis – ein fortwährendes Auf und Ab, Für und Wider, Hin und Her. Mal Selbstbeschau, mal nüchterner Bericht, dann wieder weinerliches Argumentieren, hoffnungsvolles Flackern.

Andreas Wojak bei der Veranstaltung in der Bibliothek. Bild: Frerichs

Und dann die Familie, die das schier endlos sich hinziehende Leiden beobachtend miterlebn musste, Frau und zwei Töchter, die aber, obwohl sie im Feature vorkommen, doch seltsam schemenhaft bleiben – ganz der Krankheit untergeordnet, die alles Leben dominiert.

Später wird Andreas Wojak sagen, dass es auch andere Zeiten in diesen sieben Jahren gegeben habe: Urlaub, Freude, ganz normales Familienleben. In dem Feature spiegelt sich nichts davon. Da ist nur Depression, Bedenken, Trübsal, ab und an ein Hoffnungsstrahl, der rasch wieder verglüht. Das sei von der damals zuständigen Redakteurin so eingerichtet worden, bekennt Wojak, der seit 16 Jahren genesen ist.

Und das ist das eigentliche Wunder der ganzen Geschichte. Dass er – trotz aller Ausflüge zu dubiosen Heilern, zu Bienenprodukten und Ernährungsumstellung, trotz kategorischer anfänglicher Ablehnung der Schulmedizin – schließlich doch den klassischen Weg wählt. Er lässt eine harte Therapie zu – und wird gesund. Und die ganze Zeit fragt man sich als Zuhörer: Warum hat Wojak angesichts der großen Heilungschancen seiner Erkrankung nicht gleich zu einer sicherlich erschreckend brutalen, aber sicheren Methode gegriffen, seine Erkrankung zu besiegen?

Es ist schwer nachvollziehbar, dass einer sein Leben und seine Familie riskiert, weil die Skepsis gegenüber der Schulmedizin zunächst größer ist als die Einsicht in Notwendigkeiten. So war der Abend letztlich schwer verdaulich und hinterließ jene oben angeführten zwiespältigen Gefühle. Taugte er überhaupt als Gegenstand einer „literarischen“ Runde?