Mir ist oft Angst, wir könnten sie vergessen

In Erinnerung an den 6. September 1944, als Emden verbrannte
In Kontrast gesetzt zu Bildern der alten Stadt

Mir ist oft Angst, wir könnten sie vergessen,
Die Nächte, die im Bunker wir gesessen
Der Bombenteppich fiel, der Bunker schwankt
Es zittert wohl, der um sein Leben bangt

Bewegung im Ratsdelft mit Blick auf die alten Fassaden der Straße Am Delft

Weißt Du noch Weihnacht bei dem Schein der Kerzen?
Die Toten war ’n dabei in unsern Herzen,
Wir sangen leis‘ das Lied vom Kindlein arm,
Da – die Sirene tönete – Vollalarm.

Die Mäntel schnell, das Fluchtgepäck, löscht Kerzen aus
fallt nicht im Dunkel – nein, wir sind schon raus
Am Himmel dröhnt der Schwarm der Flieger schon
Die Nacht ist klar – Oh heller Glanz des Orion

Das Erdgeschoss der Fassade des Renaissance-Rathauses von 1674/76. Durch den Rathausbogen geht es in die belebte Brückstraße

Und dann der Angriff am hellichten Tag
der tausendste Alarm längst hinter uns schon lag
Wir rannten wie wir war ’n zum Bunker hin
Weh Du, geliebte Stadt, war unser aller Sinn.

Schnell, schnell, hinein, Gefahr ist groß, der Feind schon nah
Wo seid ihr Lieben, Du mein Sohn? Ich bin schon da.
Die Brand- und Phosphorbomben fielen rundherum
Aus ging das Licht, die Kerze auch, wir saßen stumm

Ging im Krieg mit unter: die Bebauung der Neutorstraße und der Bollwerkstraße. Der vierte und fünfte Giebel auf der linken Seite gehörte zur Lutherischen Kirche.

Wir wussten alle, draußen brennt die Stadt
Wer wohl von uns noch Heim und Nahrung hat?
Die Wache kam, sie schrie, die Männer alle raus
Von fünfzehn Jahren an. Achtung, ’s liegt Phosphor draus.

Du wolltest tapfer sein, wie es die Brüder waren
Die willig nahmen hin Tod und Gefahren
Ein Wink zurück, hinaus ins Feuermeer
Wir mussten bleiben, Herz, wie bist Du schwer.

Selten: eine Nachtaufnahme Emdens. Hier mit Darstellung der Ringstraße, Richtung Schweckendiekstraße

Die Nacht verging, wir waren todesmatt
Und wankten durch die ausgebrannte Stadt
In uns und um uns schwoll die Glut
Warum der Mensch dies seinem Bruder tut?

Nun ist sie neu entstanden, die geliebte Stadt
Wir staunen, welch ein schönes Kleid sie hat
Und wie Kultur und Wirtschaft drin sich regen
Zum Wohl der Menschen, die sich frei bewegen.

Rollbrücke über das Rote Tief. Im Hintergrund das Gödenser Haus

Doch bleibt die Angst, wir könnten sie vergessen
die Nächte, die im Bunker wir gesessen
vergessen auch des Herzens Sehnsuchtsglut
dass nie der Mensch dies seinem Bruder tut.

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Gedicht von Luise Fast, aus ihrem Nachlass, der sich heute in der Johannes a Lasco Bibliothek befindet. Luise Fast, geborene Händiges, war verheiratet mit dem Emder Mennoniten-Pastor Abraham Fast (1886 bis 1962). Das Gedicht wurde von ihrer Schwiegertochter, Frauke Fast, die den Familien-Nachlass aufarbeitet, zur Verfügung gestellt.