Taten ohne Täter

Aurich. Der 23. Tag der Ostfriesischen Geschichte, veranstaltet von der Landschaftsbibliothek und dem Niedersächsischen Landesarchiv Abteilung Aurich, zum Thema Zwangsarbeit fand breite Resonanz. Zwei Vorträge standen am Vormittag auf dem Programm, nachmittags ging es mit 40 Interessierten nach Engerhafe, wo eine Führung angeboten wurde.

Dr. Simone Erpel bei ihrem Vortrag im Forum der Ostfriesischen Landschaft

Dr. Rolf Keller von der Stiftung niedersächsische Gedenkstätten gab in seinem Vortrag einen Überblick über den Arbeitseinsatz sowjetischer Kriegsgefangenen in Deutschland, ehe er die Situation im Norden ansprach und schließlich Ostfriesland in den Blick nahm. Zuvor hatte Landschaftspräsident Rico Mecklenburg darauf verwiesen, dass die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Thema fehlt. In Ostfriesland, so Mecklenburg, soll es 175 Lager gegeben haben, in Wahrheit aber waren es mehr als 300 in 200 Orten. „Viele davon sind in Vergessenheit geraten.“

Keller beschrieb den rücksichtslosen Umgang mit den Kriegsgefangenen, die an Unterernährung litten, denen einfachste Formen der Hygiene verwehrt wurden, die auf freiem Feld in selbst gebauten Erdhütten oder Höhlen dahinvegetierten. Und er präsentierte reiches Bildmaterial, das von den meist älteren Wachmannschaften angefertigt, vervielfältigt und verkauft wurde. Die Sterberate sei so hoch gewesen, dass die anfangs genutzten Särge keine Option mehr waren und die Toten von sogenannten „Fleischwagen“ eingesammelt und in Massengräbern bestattet wurden.

Kriegsgefangene bei der Beseitigung von Trümmern in Emden

In Ostfriesland habe es Tausende von Einsatzorten gegeben, erläuterte Keller. So bauten Kriegsgefangene, darunter viele Franzosen und Serben, Deiche oder halfen in Emden bei der Trümmerbeseitigung.

Dr. Simone Erpel, die gerade ein Konzept für eine Dauerausstellung in Engerhafe erarbeitet, hatte sich ein Gerichtsverfahren in Aurich gegen Oberscharführer Erwin Seifert (1915 bis 1997) in den 60er Jahren vorgenommen. Er war der Lagerleiter des KZ Engerhafe, wo jene Gefangenen einquartiert waren, die den Friesenwall rund um Aurich fertigstellen mussten. Parallel ermittelte die Kölner Staatsanwaltschaft gegen Seifert wegen Mordes und versuchten Mordes.

Blick in ein ungeschütztes Kriegsgefangenenlager unter freiem Himmel

Die Auricher Staatsanwaltschaft strengte den Prozess an, weil sich polnische Zeugen gemeldet hatten, die den Vorwurf erhoben, Seifert sei „für unzählige Morde im Lager Engerhafe verantwortlich“. Zuständig in Aurich war Staasanwalt Jürgen Hoffmann (damals 47 Jahre alt). Die akribisch und systematisch zusammengetragene Akte sei die wichtigste Quelle für das KZ Engerhafe, resümierte Simone Erpel. Während das Auricher Verfahren letztlich eingestellt wurde – es gab Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen – , verurteilte das Kölner Landgericht Seifert zu einer lebenslänglichen Haftstrafe, von der er 17 Jahre absaß. Simone Erpel monierte die Auricher Rechtsprechung. „Sie hat dafür gesorgt, dass es Taten gab, aber keine Täter mehr.“ Mit der Entscheidung seien Täter zu Tatgehilfen herabgestuft worden.