Eine Frau, die ihrer Zeit voraus war

Johannes a Lasco Bibliothek eröffnete Ausstellung „Antje Brons und ihr Jahrhundert“

Emden. In einem Wohnhaus sah Antje Brons (1810 bis 1902) in ihrer Jugend zwei Darstellungen an der Wand hängen: einen Teufel, der die Menschen in den Höllenschlund zieht, und daneben ein Bild von Seligen, die – ohne auf das Elend der anderen zu achten – entrückt himmlischen Gefilden entgegenziehen. Abends konnte sie nicht schlafen. Doch es war nicht der Teufel, der ihr Angst eingeflößt hatte, sondern es waren die teilnahmslosen Frommen auf dem Weg zum Himmel, die für sie ein Schreck waren. In solch einen Himmel wollte sie nicht.

Rund 160 Gäste kamen zur Eröffnung der Ausstellung in der Johannes a Lasco Bibliothek. Im Vordergrund: Kurator Dr Klaas-Dieter Voß

Dr. Klaas-Dieter Voß, Kurator der neuen Ausstellung der Johannes a Lasco Bibliothek „Antje Brons und ihr Jahrhundert“, zeigte anhand dieses einprägsamen Bildes, dass die Norderin eine ungewöhnliche Empathie besaß, die gepaart war mit zahllosen anderen Eigenschaften wie große Belesenheit, Fleiß, Disziplin und ein immenses Gespür für soziale und kirchengeschichtliche Themen. Eine bemerkenswerte Frau in einer Umbruchzeit sei sie gewesen. Als einen „Kristallisationspunkt“ benannte der wissenschaftliche Vorstand, Professor Dr. Kestutis Daugirdas, die unermüdlich Tätige in seiner Begrüßung: einen vielseitigen Geist.

Den Einsatz Antje Brons‘ für die Bildung hob die Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Emden, Gaby Philipps, hervor. Antje Brons lebte die Überzeugung, dass die Bildung es sei, die den Weg ins Leben öffne. In vielem sei sie ihrer Zeit weit weit voraus gewesen – so auch in der Überzeugung, dass eine Frau die Gefährtin des Mannes sein sollte, nicht seine Sklavin.

Doppelte Begrüßung: Antje Brons und ein Interieur der Großen Kirche im Eingangsbereich der Bibliothek

Ihrer Zeit voraus – darauf hob Klaas-Dieter Voß in seiner Einführung in die Ausstellung besonders ab. Schon als Schulmädchen suchte Antje Argumente für ihre Verteidigung gegen Mitschüler, die die Halbwaise verspotteten, in den Büchern, die die große Bibliothek des Onkels vorhielt. Als verheiratete Frau las sie täglich mehrere Zeitungen, setzte sich „gegen die Halsstarrigkeit der Emder“ durch, als sie die Gründung einer Höheren Töchterschule betrieb. Antje hatte ein feines Gespür für Kinder und ihre Bedürfnisse. Sie war überzeugt, dass man Kinder fördern müsse, aber auch von ihnen lernen könne.

1860 habe Antje Brons begonnen zu schreiben – immer in der Mittagspause, die sie statt für eine Ruhepause für ihre geistige Betätigung nutzte. Dabei sei sie auch häufiger Gast in der Bibliothek der Großen Kirche gewesen, um zu studieren.

Viele Dokumente und Familienporträts befinden sich in den Tischvitrinen

Ihre Geschichte des Täufertums war zunächst für die Kinder und Enkel gedacht. Doch das Buch fand starke Resonanz und weite Verbreitung. Ziel sei es gewesen, die Mennoniten mit ihrer eigenen Geschichte vertraut zu machen und das als Sekte diskreditierte Täufertum als religiöse Gemeinschaft darzustellen und ihr entsprechende Anerkennung zu verschaffen. Damit lag Antje Brons ganz in einer Linie mit ihrem Großvater, der einst das schönste Haus am Norder Marktplatz ersteigert hatte, um es an die Mennoniten weiterzugeben und so – in direktem Gegenüber zur Ludgeri-Kirche – schon optisch für eine Aufwertung des Täufertums zu sorgen.

Teil-Nachbildung: der große Saal im Haus der Familie Brons mit originaler Ausstattung

Die Ausstellung orientiert sich an einer Schrift von 1891, in der Antje Brons das 19. Jahrhundert Revue passieren lässt, indem sie von neuen Errungenschaften und Erkenntnissen berichtet und den wirtschaftlichen Aufschwung in der Stadt darstellt. Sie verknüpft dabei biographische Erinnerungen mit den Beobachtungen in ihrem Umfeld. Und so findet man es auch in der Ausstellung. Neben persönlichen Relikten aus dem Haushalt und dem persönlichen Besitz der Antje Brons stehen große Stellwände mit Informationen und Bildern zur Entwicklung der Stadt Emden. Es findet sich aber auch – exemplarisch für die politische Dimension jener Zeit – die Original-Fahne, die der Kaufmann und Delegierte der Nationalversammlung, Ysaak Brons, 1848/49 mit in die Frankfurter Paulskirche, die zum Sitz eines ersten gesamtdeutschen Parlamentes wurde, nahm.

Hing Mitte des 19. Jahrhunderts in der Frankfurter Paulskirche: das Ostfriesland-Wappen (Ausschnitt, seitenverkehrt)

Drei Räume aus dem Hause Brons am Alten Markt wurden tteilweise rekonstruiert und mit originalen Möbeln ausgestattet: der große Saal – mit einer Tapete im Stil des 19. Jahrhunderts, das Gartenhaus von Antje Brons, das heute noch in der Bollwerkstraße nahe dem Stadtgraben steht, und das Damenzimmer – mit schönen Fenstervorhängen, die eigens von Katja Beisser-Apetz genäht wurden.

Die Vorsitzende der Emder Mennoniten-Gemeinde hat ein Buch über Antje Brons verfasst. „Das weiße Blatt“ erschien 2011 und war der Auftakt für eine immer intensiver werdende Beschäftigung mit der Kirchenhistorikerin und Schriftstellerin. 2015 waren es die Soroptimisten um Dr. Hedwig Hangen und Gerta Berghaus, die – als Repräsentantin für den „Frauenort Emden“ – Antje Brons vorschlugen – und zwei Jahre lang für die Durchsetzung kämpften.

Der Teilnachbau des Gartenhauses der Antje Brons dient als Kulisse für eine Tischvitrine mit vielfältigen Briefen und Informationen. Hier schauen Friederike Junkhoff und Horst Arians sich die Dokumente an

Mitterweile ist die Bedeutung der gebürtigen Norderin zum Thema wissenschaftlicher Grundlagenforschung geworden. Die Johannes a Lasco Bibliothek hat ein Projekt erarbeitet, das den Briefwechsel von Antje Brons näher in den Blick nehmen möchte. Derzeit warte man auf einen Förderbescheid der Deutschen Forschungsgemeinschaft, sagte Kestutis Daugirdas. Gewichtig sei das Thema auf jeden Fall, schließlich habe Antje Brons weltweit korrespondiert und sei eine führende Stimme des Mennonitentums geworden.

Musik des 19. Jahrhunderts spielten und sangen: Markus Rölz, Leonid Dorfmann und Vilma Pigagaite

Die Veranstaltung war eingebettet in ein Programm mit Musik des 19. Jahrhunderts, wobei mit Clara Schumann und Emilie Mayer ein 50-prozentiger Anteil an Komponistinnen realisiert wurde. Es sang Vilma Pigagaite, Klarinette: Markus Rölz, Klavier: Leonid Dorfmann. Das Trio begann mit Franz Lachners „Auf den Flügen des Gesangs“ und endete mit Franz Schuberts großer Gesangsszene „Der Hirt auf dem Felsen“. Rund 160 Besucher der Eröffnung, darunter viele Nachfahren von Antje Brons und ihren Kindern, spendeten reichen Beifall.