Heilige Pracht

Norden. Welch ein kolossales Werk! Welch eindrucksvolle Umsetzung! Was für ein beeindruckender Abend!

Die beiden Ensembles gastierten unter Leitung von Klaas Stok in der Norder Ludgerikirche. Bilder: Karlheinz Krämer

Auf dem Programm der Gezeitenkonzerte in der Norder Ludgerikirche stand die „Vespro della beata Vergine“, die Claudio Monteverdi als 43-Jähriger 1610 schrieb. Mag auch Vieles an diesem Werk bis heute ungeklärt, der Forschungsstand in vielen Punkten unsicher sein – eines jedoch ist offensichtlich: Das machtvolle Werk hat eine uneingeschränkt überwältigende emotionale Wirkung.

Das NDR Vokalensemble und das Ensemble für Alte Musik „Schirroko“ sangen und spielten vor rund 400 Besuchern mitreißend, und das Dirigat von Klaas Stok ließ die Details und Feinheiten, die die „Marienvesper“ enthält, mit großem Schwung und umfassend in seiner Bewegungsstruktur nachvollziehbar werden.

Erst kürzlich war das Werk in derselben Besetzung bei NDR Kultur zu hören. Diese Radio-Übertragung wirkte schon außergewöhnlich stark und unmittelbar. Doch um wie vieles reicher, diffiziler und differenzierter kam die Präsentation in der Ludgerikirche daher. Da der Raum so viele hölzerne Priechen, Ecken und Winkel enthält, blieb der Ton bei Sängern und Instrumentalisten wunderbar stabil.


So traf die volle Wucht und Wirkung der Musik auf ein Publikum, das sich entzückt von diesem geistlichen Werk zeigte, das soviel herzzerreißende Momente offenbart, das aber durch die unendliche Abwechslung in der Wahl der musikalischen Mittel so viele spielerisch wie sanglich eindrucksvolle Elemente enthält. Noch Tage später wurde man bei anderen Gezeiten-Konzerten auf diese Aufführung angesprochen. Und glücklich schätzten sich jene, die dabei waren.

13 einzelne Sätze reihen sich immer kraftvoller aneinander – einer schöner als der andere. 13 musikalische Ideen – locker zusammengehalten durch das mehrfach auftauchende „Gloria Patri et Filio et Spiritui Sancto“, brechen sich Bahn. Wenn man nach Zahlensymbolik sucht, wird man sich bei Christus und seinen Jüngern fündig: die zwölf und der Eine. Denn Maria taucht in den Texten vor allem in den Antiphonen – die an diesem Abend nicht gesungen wurden -, und im Hymnus auf. Sie ist die jungfräulich Gebärende, die Mittlerin zwischen Gott und den Menschen, das Tor zum Himmel, die „Magd Gottes“, die Mutter: „Sancta Maria, ora pro nobis.“


Der Chor stellte seine Solisten für die Aufführung aus eigenen Reihen und zeigte, über welch ausgesprochen prächtige Gesangsstimmen er verfügt. Das Vokalensemble formierte sich in einer regelrechten Choreographie immer wieder neu, so dass Monteverdis offensichtlicher Drang zum Experimentieren sich auch optisch nachvollziehen ließ. Die Musik dazu, gespielt auf historischen Instrumenten, war eine kunstvolle Vollendung der „heiligen Pracht“, die dieses Werk, das an der Schwelle zwischen Renaissance und Barock steht, darstellt.