Ein 1:1-Erlebnis

Emden. Judith Hermann ist eine bekannte Autorin, und Emden hatte den Vorzug, sie zu einer Lesung aus ihrem jüngsten Buch „Daheim“ in der Johannes a Lasco Bibliothek empfangen zu können, wo sie – gemessen an der aktuellen Situation – ein gut gefüllter Besucherraum erwartete.

Zwischen Realität und Traum: Judith Hermann liest aus ihrem Buch „Daheim“, rechts Moderator Christoph Bungartz.

Die Veranstaltung war unter dem Motto „Der Norden liest“ von NDR Kultur und dem Kulturjournal organisiert worden. Und das schlicht, aber mit Stil. So war durch einige Roll-ups eine Art „Bücherwand“ auf der Bühne eingerichtet worden, was der Lesung zu allerhand Anspielungen verhalf und ihr einen freundlichen Charakter verlieh.

Es gibt nur wenige Autoren, die den eigenen Text wirklich so lesen können, dass die Zuhörenden etwas davon mitnehmen können. Judith Hermann machte das geschickt. Ihr Lesestil ist leicht, flüssig, fließend, aber verständlich. Man mag ihr zuhören. Und in dem Moment, in dem die Moderation ihr Antworten auf gestellte Fragen abverlangt, merkt man, dass sie sich beim Lesen auch nicht verstellt. Sie spricht, wie sie liest – in diesem leicht vagen Tonfall, der wie Seenebel mysteriös herunterfällt, sich aber ebenso schnell wieder auflöst. Eine Koinzidenz von gesprochenem und geschriebenem Wort? Man wird sehen.

Moderator Christoph Bungartz fragt nach dem Leitmotiv der Kiste in „Daheim“. Kisten tauchen nämlich immer wieder auf, sie beinhalten zum Beispiel ein Frosch-Skelett in einem Mundharmonika-Behältnis oder eine „zersägte Jungfrau“, eine Geschichte, die den Eingang des Romans ausmacht und wohl ursprünglich als eigenständige Kurzgeschichte gedacht war.

Wie sie denn wohl auf so einen Einstieg gekommen sei, fragt der Moderator und muss sich mit der Antwort zufrieden geben, dass sie, Judith Hermann, diese Frage nicht beantworten werde. Es sei nämlich „streng verboten“, solche Geheimnisse auszuplaudern, weil das zur Entmystifizierung der Geschichte führe.

Der Moderator versucht es erneut. Kiste gleich Lösung aus einem Trauma? Man landet bei dem Begriff „bindungslos“, den Judith Hermann ihren Figuren zuweist und durch die Konstruktion von Gegentypen noch verschärft. Als Bungartz auf den Titel des Buches „Daheim“ anspielt und bemerkt, dass sich dieses Wort in ihrem Text überhaupt nicht findet, da reagiert die Autorin amüsiert. „Das freut mich!“, lächelt sie den Fragenden an, um dann zu erläutern, dass „Daheim“ kein Wort der Alltagssprache sei, vielmehr einen „poetischen Klang“ habe, aber keinen Raum einnehme, also keinen Ort kennzeichne.

Zwischen der Feststellung von märchenhaften Aspekten, Erklärungen zu möglichen Anleihen bei Mythen, Fragen nach Angst-Motiven, nach Ent- und Verwurzelung wird auf einmal klar, dass die Sprache des Buches und des gelesenen Wortes wirklich identisch sind, dass Judith Hermann mit den Begriffen von Nähe und Distanz spielt und damit in ihrem Buch in einer eigentümlich schwebenden Stimmung zwischen Realität und Traum bleibt. Ihr Lesen passt perfekt dazu. Es ist ein 1:1-Erlebnis.

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