„Fragilität“ als existenzielle Erfahrung

Die Johanna-Mühle lädt seit dem Wochenende zur Kulturwoche ein

Emden. Ein Tisch mit zerstörtem Geschirr. Drumherum Stühle, die mit einem Material belegt sind, das nicht zum Sitzen geeignet scheint. Ist das zerbrechlich? Zwei zarte Zeichnungen schildern die Körperlichkeit in lichter pastellener Farbigkeit. Ist da etwas gefährdet? Spinnennetze aus unterschiedlichen Materialien sind besetzt mit Tieren. Wer ist da empfindsam? Der Kopf eines Kranken, so durchsichtig, dass er wohl schon mehr dem Jenseits als dem Diesseits angehört? Ein Zeichen für die Brüchigkeit des Lebens? Pflanzen – durch ein Mikroskop betrachtet und als großformatige Siebdrucke aufs Papier gebracht. Braucht die Natur uns – oder wir die Natur?

Zur Eröffnung der Kulturwoche in der Johanna Mühle kam viel Publikum, links vorne Initiatorin Helga Beisheim

Alle neun Künstler, die derzeit in der Johanna-Mühle ausstellen, befassen sich mit Fragen der Zerbrechlichkeit – der Welt, des Lebens, der Umwelt. „Fragil“ ist deshalb auch der Titel der Schau, die Helga Beisheim aus Grimersum nicht nur erdacht, sondern auch eingerichtet hat – auf grob gezimmerten Konstruktionen, die genauso wirken, wie die Aussagen der Bilder, Collagen, Installationen – eben fragil.

Wie archäologische Fundstücke, erfasst mit Lineal und „Setzkasten“: vielfarbige Collage von Wan-Yen Hsieh aus Norden mit dem Titel „Patchwork“

Helga Beisheim selber stellt ihren Beitrag, die Installation „Katzentisch“, im dritten Stock der Mühle vor. Neben der harmlosen Konnotationen – Katzentisch als Platz für die Kinder – bezieht sich Beisheim auf eine Ernährungsproblematik, bei der Wenige Zugriff auf puren Luxus haben, während die Masse „mit leeren Holzlöffeln zurück bleibt“, wie die Laudatorin, Kunsthistorikerin Dr. Annette Kanzenbach, es ausdrückt. „Die am Katzentisch saßen, spielten nicht in der Welt der Großen und bestimmten auch nicht die Regeln.“ Ihre Schlussfolgerung bezieht beide Aspekte mit ein und verbindet so verbal, was Helga Beisheim mit ihrer Darstellung an Interpretation zulässt.

„Das ist das Wunderbare an der Kunst. Es gehört zu ihren Funktionen, unser Denken zu erweitern und Gespräche anzuregen“, schließt Annette Kanzenbach ihre Ausführungen. Die Ausstellung biete genügend Potential für beides.


► In der Mühle stellen aus: Michael Becker, Johann H. Behrends, Helga Beisheim, Ricardo Fuhrmann, Wan-Yen Hsieh, Claudia Ohmert, Torsten Scheweling, Norbert Tilmann und Carolin Weise. Die musikalische Begleitung lag am Eröffnungstag bei Michael Schunk (Violine)

► Am Donnerstag, 22. Juni, hält Professor Dr. Eric Mührel um 19 Uhr einen Vortrag in der Johanna-Mühle: „Im Blick des Angelus Novus. Glanz und Schatten fragiler Wirklichkeiten“ Eintritt: frei

► Am Sonntag, 25. Juni, findet um 17 Uhr eine Finissage mit dem Jazz-Quartett SoundAlley statt. Das ist eine Gruppe um den Emder Schlagzeuger Philipp Pumplün. Eintritt: frei