Auf Entdeckungsreise

„Wat was dat moi“, seufzt eine Besucherin genussvoll, als die Lange Nacht der Gipfelstürmer im Rahmen der Gezeitenkonzerte nach fünfeinhalb Stunden zu Ende ist. Mittlerweile geht es auf Mitternacht zu, und die Gäste des Abends haben sich – satt von Musik – auf dem Weg nach Hause gemacht.

Da stehen sie sich gegenüber: ein begeistertes Publikum und sehr zufriedene Künstlerinnen und Künstler. Bilder: Karlheinz Krämer

Der Sonnabend (8. Juli) war wirklich reich an musikalischen Entdeckungen. Zehn Instrumentalisten, eine Sängerin, zwei Schauspieler sorgen für reichlich Abwechslung. Dazu kam ein Komponist, der nicht nur ein Freund von Matthias Kirschnereit, dem musikalischen Leiter der Gezeitenkonzerte, ist, sondern auch ein toller Sänger, wie er im Rahmen des Wandelkonzertes noch beweisen sollte.


Exzellenz in ihrem Handwerk weisen alle Beteiligten auf – ob sie nun im Ensemble oder solo spielen. Auffallend ist, dass auch weniger bekannte Komponisten in den Programmen auftauchen. Neben Rachmaninow, Prokofiew, Ysaye, Bernstein oder Saint-Saens stehen nun Joseph Jongen, Frank Bridge, Jacques Castérède. Ein Zeitgenosse ist Stephan Storck, der dem Festival eine Uraufführung beschert.

Spielten Musik von Joseph Jorgen und Jacques Castérède: Yebin Kor und Polina Tarasenko

Beethoven, Bach, Mozart – sind nicht vertreten. Kein Wunder. Immerhin heißt das Motto der Gezeiten in diesem Jahr „Neues entdecken“. Also geht es auf in die Welt dieser musikalischen Abenteuer. Und das ist nicht übel, denn es sind interessante Kompositionen zu entdecken.

Klavier-Trio Estelle Enkelmann, Natascha Paulich und Mia Deng

Die jungen Musiker wählen zudem Korngold, Charpentier oder Chopin, oder befassen sich gleich mit dem 20. und 21. Jahrhundert als Betätigungsfeld für außergewöhnliche Leistungen. Da ist Polina Tarasenko, die ihre Posaune mit delikater Emphase spielt oder Mira Foron, die die Violine derart virtuos beherrscht, dass man nur noch staunen kann. Da ist das Daidalos Guitar Duo, besetzt mit Raphael Ophaus und Stefan Koim, das mit der akustischen Gitarre wunderbare Stimmungen zaubert. Flávia Striquer ist gebürtige Brasilianerin. Die Stimme der Sopranistin ist für die große Oper ausgerichtet, doch sie kann auch anders und beweist zum Beispiel mit den „Girls von Ipanema“, dass feine Nuancierungen auch im Schlager größte Wirkung erzielen.


Annika Gräslung und Ben Grebel vertreten das Schauspiel und beziehen das Publikum ein in die zu klärende Frage „Was ist mit unseren Kindern passiert?“ Solch eine Szene ganz aus der Nähe zu erleben, ist natürlich ein besonderes Erlebnis, denn: auch gespielte Aufregung kann ergreifend sein.


Es trat nicht nur ein Duo auf, sondern auch ein Klavier-Trio. Natascha Paulich (Klavier), Estelle Enkelmann (Violine) und Mia Deng (Violoncello) setzten Musik von Rachmaninow und Frank Bridge wahrhaft lustvoll in Szene, agierten mit geschmackvoller Verve und zeigten sich überaus sicher im Zusammenspiel.

Da griff der Chef selber in die Tasten: Matthias Kirschnereit und der Komponist sowie Sänger Stephan Storck (Bass), der mit seiner Avantgarde-Komposition „Anriss“ für eine Uraufführung bei den Gezeitenkonzerten sorgte

Pianistin Marie Jäschke porträtierte charaktervoll das Mädchen Julia und den Mercutio aus dem Ballett „Romeo und Julia“ von Prokofjew – fügte später als Zugabe noch den „Tanz der Ritter“ bravourös hinzu und spielte wahrhaft glanzvoll die Ballade f-Moll von Chopin. Selma Schiller begleitete die Sopranistin am Klavier und zeigte – ebenso wie Yebin Kor, die mit der Posaunistin konzertierte – viel Einfühlungsvermögen.


Kurz gesagt: Jeder Mitwirkende an diesem langen Konzertabend erspielte oder sang sich in die Herzen der Zuschauer in der ausverkauften Veranstaltung. Die Nähe zwischen Publikum und den Akteuren trug ebenso dazu bei wie die langen Pausen, in denen man beim Tee oder beim Abendessen auf die jungen Künstler treffen und sie ansprechen konnte. Das macht stets den besonderen Reiz des Formats aus.

Die Moderatoren: Matthias Kirschnereit und Raoul-Philip Schmidt

Moderiert wurde die Veranstaltung, die traditionell auf zwei Bühnen parallel stattfindet, von dem künstlerischen Leiter der Gezeitenkonzertte, Matthias Kirchnereit, und dem organisatorischen Leiter Raoul-Philip Schmidt, die mit kurzen Biographien, Anekdoten und Hinweisen zu Musik und Komponisten unterhielten.