Ohne das Kaiser-Porträt würde der OB die Kette tragen

Emden. Das Ostfriesische Landesmuseum hat unter der Leitung von Jasmin Alley ein neues Format kreiert; „neu erzählt“. Die erste Objektausstellung widmete sich dem „Zettelkasten“ von 1820dieKUNST, die zweite der Amtskette des Oberbürgermeisters (vom 3. August 2022 bis zum 29. Januar 2023). Einige Fragen zu dem Format und seiner Wirkung in Bezug auf die Amtskette. Es antworten: Jasmin Alley, Oberbürgermeister Tim Kruithoff und der Sprecher des Museums, Diethelm Kranz.

1. Wie sind die Ergebnisse dieser für Kinder gedachten Präsentation ausgefallen?
Die Präsentation der Amtskette und ihrer Geschichte im Rahmen des Formates „NEU ERZÄHLT“ ist in einer Inszenierung erfolgt und richtet sich an Besucherinnen und Besucher ab zehn Jahre aufwärts. Es vermittelt die Symbolgeschichte der Kette und beschäftigt sich mit der Funktion eines solchen Objektes.
Ziel ist es, eine differenzierte Diskussion in der Stadt über die Amtskette und ihre Symbolik anzustoßen, die auch die jungen Emderinnen und Emder mitnimmt und die Frage nach einer zeitgemäßen Symbolik aufwirft. Die Erfahrung nicht nur in unserem Hause zeigt, dass Präsentationsformen, die auf jüngere Zielgruppen ausgelegt sind, auch für die Älteren attraktiv sind. Die für unsere Gäste geschaffenen Möglichkeiten, mit unterschiedlichen Motiven das Kaiserbildnis zu ersetzen, sind sehr gut angenommen worden. Die rege Beteiligung und die Nutzung zeigen zum einen die Lust an Beteiligungsprozessen und zum anderen das Bedürfnis bei einem Museumsbesuch auch selbst aktiv werden zu können.

Die Amtskette, die zum Kaiserbesuch gefertigt wurde – ausnahmsweise in Gold, obwohl Emden damals aufgrund seiner Größe nur eine in Silber zugestanden hätte

2. Welche Folgen ergeben sich aus der Präsentation und den abgefragten Meinungen für den Träger der Amtskette?
Aus unserer Sicht ist gerade auch die mit diversen Fragestellungen versehene Präsentation dazu angetan, einen Denk- und Diskussionsprozess rundum die Amtskette zu forcieren. An diesem Prozess wird sich der Oberbürgermeister gerne beteiligen, denn das Tragen der Amtskette durch den ersten Bürger und Repräsentanten der Stadt Emden ist ein emotional besetztes Thema, was kontrovers zwischen den Vertretern von Tradition und Moderne diskutiert wird.
Oberbürgermeister Tim Kruithoff trägt die Amtskette mit dem Abbild des Kaisers nicht. Er ist für sich zu der Erkenntnis gekommen, dass die Person „Kaiser Wilhelm“, der die Amtskette seit der Restaurierung 2002 wieder als Porträt verziert, nicht mit dem Idealen einer selbstbewussten kommunalen Selbstverwaltung in Einklang zu bringen ist. Insbesondere die antisemitische Einstellung des damaligen Kaisers und dessen Anbiederung an die Nationalsozialisten, sind dabei die entscheidenden Punkte für den Oberbürgermeister.
Ergänzend dazu fiel der Amtsantritt des Oberbürgermeisters mit der Einreichung einer Klage der Familie der Kaiser-Nachfahren gegen den deutschen Staat einher, in dessen Folge die Hohenzollern versucht haben, Presse und Gutachter unter Druck zu setzen. Herr Kruithoff möchte als Hauptverwaltungsbeamter

Der OB stellte sich damals den Fragen von Kindern in Form eines Videos, das der Ausstellung beigegeben war

einer staatlichen Selbstverwaltungseinheit nicht den Vertreter einer Familie, die gegen diesen Staat klagt, den er vertritt, um den Hals tragen. Somit geht es ihm weder um die eigentliche Tradition der Amtskette, noch um das Abschneiden „alter Zöpfe“.
Zur Restaurierung im Jahr 2002 ist noch anzumerken, dass nicht bekannt ist, wie das Originalabbild des Kaisers in der Amtskette ausgesehen hat und daher handelt es sich nicht um eine Wiederherstellung, sondern eine Nachahmung des Zustandes der Kette von 1902, die auf Recherchen und Annahmen beruht. Ohne das Kaiser-Abbild – mit dem nach dem Krieg existenten „Leerstelle“- würde der Oberbürgermeister die Kette tragen.

3. Welche Folgerungen ergeben sich generell aus den Ergebnissen einer solchen Präsentation? Wer sammelt, wer sortiert und beurteilt die Stimmen zum Thema? Wie werden die gesammelten Meinungen verarbeitet?
Die Präsentation generierte diverse Reaktionen intern wie extern. Zuständig für das jeweilige Gesamtprojekt, also auch die Evaluation ist wie bei anderen (Ausstellungs-)Projekten die Kuratorin oder der Kurator.

4. Warum wird ein solch komplexes Thema, das so viele Zusammenhänge aufweist – etwa, wenn man an die spannende Geschichte ihres „Überlebens“ der Kette in den Kriegsjahren denkt, in Kinderhand gegeben? Ist das nicht eine heikle Versimplifizierung eines hochpolitischen und – wenn man an die Begründung des OB denkt, sie nicht zu tragen – geradezu brisanten Themas?
Das Thema ‚Geschichte und Bedeutung der Amtskette‘, haben wir zu keinem Zeitpunkt „in Kinderhand gegeben“. Im Gegenteil: wir haben mit der Präsentation eine auch für Kinder anschaulich und verständlich gemachten Einblick in die Problematiken, die mit der Amtskette verbunden sind, gegeben. Bei einer kindgerechten Präsentation handelt es sich keineswegs um eine „Versimplifizierung“, sondern um eine zielgruppengerechte Inszenierung und Aufarbeitung.

In kurzen Sätzen ging die Ausstellung der Argumentation nach, warum der OB das Tragen der Amtskette in der jetzigen Ausstattung ablehnt

5. Bleibt die Kette künftig im Museum?
Die Kette ist auch in der Vergangenheit zeitweise auf Wunsch der jeweiligen Amtsträger, wenn sie nicht in Gebrauch war, im Ostfriesischen Landesmuseum Emden aufbewahrt worden. Ob dies auch in Zukunft so sein wird, bleibt abzuwarten. Der Oberbürgermeister würde sich über eine öffentliche Diskussion und ein Signal, dass die Herausnahme des Kaiser-Abbildes möglich ist, freuen. Dann wäre sie ja von ihm wieder in Gebrauch – alternativ, besteht in Zukunft die Möglichkeit, dass sie wieder von einer Nachfolgerin oder einem Nachfolger getragen wird.

6. Zum Format „neu erzählt“: Welches langfristige Konzept verbirgt sich dahinter ?
Das Format soll beispielhaft und gleichzeitig temporär Einblicke in unsere Sammlung geben und die Qualität und Breite der Sammlung verdeutlichen.

7. Was ist – zum Beispiel an der Geschichte mit der Amtskette – neu?
Wir werden unter dem Lable ‚NEU ERZÄHLT‘ auch mittelfristig immer wieder Themen in vielleicht ungewohnter, manchmal auch unbequemer Form aufgreifen und präsentieren. Dabei wird es nicht immer um ein generell neues Thema gehen, sondern um eine neue Erzählweise und die Infragestellung alter Narrative. So ging die Präsentation explizit auf die Symbolik und die Bedeutung der Kette ein, ohne z.B. auf den Hintergrund ihrer Entstehung zu verzichten. Die Zielsetzung war jedoch nicht, die Geschichte der Amtskette in allen Facetten darzustellen.

Station für die Besucher: hier konnten Vorschläge gemacht werden, welches Motiv statt des Kaiser-Bildnisses in die Kette eingefügt werden könnte

8. Bleibt die überdimensionierte Bretterwand Bestandteil des Formates? Welche Bewandtnis hat es überhaupt damit? Was soll sie bedeuten?
Die Präsentationsform in der dritten Etage des Landesmuseums ist bewusst und konzeptionell elaboriert von einem Werkstattcharakter geprägt. Die Dauerausstellung soll zukünftig punktuell und in Abschnitten neugestaltet werden. Parallel wollen wir im Landesmuseum Akzente setzen und für möglichst viele Zielgruppen, insbesondere auch jüngere Menschen attraktive Besuchsanlässe bieten.