Europas Theologen treffen sich in Emden
Emden. Am 5. Oktober findet in der Johannes a Lasco Bibliothek ein Festakt zum 50-jährigen Bestehen der Leuenberger Konkordie statt. Auf dem Leuenberg bei Basel hatten Reformierte und Lutheraner 1973 ihre Trennung überwunden. Daraus ist die Gemeinschaft der Evangelischen Kirchen in Europa (GEKE) erwachsen.
Kultur-in-Emden befragte den langjährigen Co-Präsidenten der GEKE, den ehemaligen Professor für Systematische Theologie und Direktor des Seminars für Reformierte Theologie an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms Universität in Münster, Professor Dr. Michael Beintker.
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Kultur-in-Emden: Herr Professor Beintker, die zentrale Formulierung der Leuenberger Konkordie für die reformierten und lutherischen Kirchen ist die „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“. Wie würden Sie diese komplexe Zielsetzung in einfachen Worten erklären.
Beintker: „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ ist das Ziel der Ökumene zwischen christlichen Kirchen. Die einzelnen Konfessionen können ihre Besonderheiten beibehalten und bringen diese konstruktiv in die zu erstrebende Gemeinschaft mit den anderen Kirchen ein. Voraussetzung ist eine einvernehmliche Klärung folgender Grundfragen: Was bedeutet Evangelium heute? Können wir die Taufe der anderen anerkennen? Können wir die Differenzen überwinden, die uns an einer gemeinsamen Feier des Abendmahls hindern?
KiE: Ist eine Erweiterung der Vereinbarung „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ denkbar, so dass etwa andere evangelische Kirchen oder Freikirchen sich anschließen?
Beintker: Selbstverständlich ist die Vereinbarung offen für andere evangelische Kirchen und Freikirchen. Gegenwärtig gehören der Gemeinschaft 95 Mitgliedskirchen an, unter ihnen auch die Kirchen der Böhmischen Brüder, der Waldenser und der europäischen Methodisten. Die Föderation der europäischen Baptisten besitzt einen Gaststatus. Da die Baptisten die Praxis der Kindertaufe nicht anerkennen, ist eine Vollmitgliedschaft nicht möglich.
KiE: Wie sieht das bei den Katholiken aus, bei denen ja heute noch die Teilnahme am Abendmahl für evangelische Christen nicht erlaubt oder zumindest nicht gern gesehen ist?
Beintker: Die katholische Kirche beharrt offiziell auf dem Standpunkt, dass „Einheit in versöhnter Verschiedenheit“ nur für das Verhältnis der evangelischen Kirchen untereinander tauglich ist. Ein jüngst entwickelter Vorschlag, die Feier des Abendmahls bzw. der Eucharistie behutsam wechselseitig zu öffnen, wurde seitens des Vatikans als „unvereinbar mit dem katholischen Glauben“ abgelehnt. In den Gemeinden vor Ort sieht es anders aus. Katholiken, die am evangelischen Abendmahl teilnehmen möchten, dürfen sich als eingeladen betrachten. Auch Protestanten, die bei der katholischen Eucharistiefeier die Hostie empfangen wollen, werden in der Regel nicht mehr abgewiesen.
KiE: Aus dem Treffen der Evangelischen Kirchen auf dem Leuenberg bei Basel hat sich die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) gebildet. Ist diese Vereinigung heute überhaupt noch nötig?
Beintker: Es hat sich erwiesen, dass die evangelischen Kirchen in Europa eine solche gemeinsame Plattform brauchen, um sich gegenseitig zu unterstützen und auf europäischer Ebene wahrgenommen zu werden. Denn im Bereich der EU bilden die Evangelischen eine Minderheit von neun Prozent der Gesamtbevölkerung. Der vergleichsweise hohe Anteil Evangelischer in Skandinavien, Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass in vielen europäischen Ländern die Zahl der Evangelischen unter der Ein-Prozent-Marke liegt. Die große Mehrheit der christlichen Bevölkerung in der EU ist entweder katholisch (41 Prozent) oder orthodox (10 Prozent).
KiE: Wie ist heute der Stand der Dinge? Ist das Ziel der Gemeinschaft erreicht?
Beintker: Die Mitgliedskirchen der GEKE sind gemeinsam unterwegs und bereiten sich gegenwärtig auf ihre 9. Vollversammlung vor, die 2024 im rumänischen Sibiu (Hermannstadt) zusammenkommen wird. Sie werden über die weitere Gestaltung und Vertiefung ihrer Kirchengemeinschaft beraten, das Verhältnis zur katholischen Kirche bedenken, die sehr unterschiedlich beantworteten Fragen von Partnerschaft, Ehe und Familie diskutieren und sich über die kirchliche Meinungsbildung zu den Problemen und Krisenerscheinungen in Europa austauschen.
KiE: Herr Professor Beintker, warum treffen sich Vertreter der GEKE zum 50. Jahrestag gerade in Emden?
Beintker: Die Wahl Emdens als Ort für den Festakt legte sich aus zwei Gründen nahe. Seit 2012 gibt es eine Vereinbarung zur Kooperation zwischen der GEKE und der JALB, der unter anderem die Förderung der theologischen Zusammenarbeit und Forschung innerhalb der GEKE und unter den evangelischen Kirchen auf europäischer Ebene vorsieht. Und: 2013 verlieh die GEKE Emden als erster von inzwischen 100 europäischen Städten den Titel „Reformationsstadt Europas“, der zum Reformationsjubiläums 2017 ausgeschrieben worden war.
KiE: Ist dieser Treffpunkt ein Diskussionspunkt gewesen? Oder hat man das gleich akzeptiert?
Beintker: Die Entscheidung für den Ort eines solchen Festaktes setzt immer bestimmte Beratungen voraus. Es war aber von Anfang an klar, dass die A Lasco Bibliothek ein Ort ist, der sich vorzüglich für einen solchen Festakt eignet. Außerdem gab es hier einen vergleichbaren Festakt schon vor zehn Jahren zum 40. Jubiläum der Konkordie. Mit ihm wurde damals die Reformierte Sommeruniversität 2013 eröffnet, aus deren Vorlesungen dann ein vielbeachtetes Buch über die Leuenberger Konkordie hervorgegangen ist.
Die Leuenberger Konkordie
■ 1973: Auf dem Leuenberg bei Basel wird die „Leuenberger Konkordie“ verabschiedet und den evangelischen Kirchen in Europa zur Unterzeichnung zugeleitet.
■ April 1976: Das Dokument wird von 69 der 88 angesprochenen Kirchen unterzeichnet
■ Aus den in regelmäßigen Abständen tagenden Vollversammlungen der Unterzeichnerkirchen erwächst die „Leuenberger Kirchengemeinschaft“
■ 2003: Umbenennung in „Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE)“
■ 2013: Das 40jährige Bestehen wird in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden gefeiert
■ 2023: Das 50. Jubiläum findet ebenfalls wieder in Emden statt. Bisher haben sich mehr als 80 Vertreter der GEKE angemeldet