Das vorbildliche Museum im Polder

Emden. Das Gebäude sieht unspektakulär aus. Eine Scheune aus den 60er Jahren. Doch wenn sich die Tür öffnet, ist es wie ein Zeitensprung zurück in die 20er, 30er, 40er Jahre. Für viele Menschen sind es Kindheit und Jugend, die hier lebendig werden, für andere ist es ein Blick zurück auf berufliche Tätigkeiten, die heute ganz anders ablaufen.

Dinus und Franziska Voß mit ihren Apollo-Plänen

Franziska und Dinus Voß haben in ihre Scheune in Wybelsum eine historische „Straße“ hineingebaut, die mit zahlreichen „Läden“ bestückt ist. Jedes „Haus“ weist eine andere Fassade auf, alle sind original und alle führen in Räume, die jeweils einen anderen Aspekt der Sammeltätigkeit seiner Schöpfer zeigen. Diese Lust, alte Dinge neu zu wertschätzen, richtet sich bei Ehepaar Voß – sie ist Malerin und Lackiererin mit Fachhochschulabschluss in Gestaltung, er Industriemechaniker – auf Zweiräder. Und ihre Sammelleidenschaft ist anscheinend nicht zu stillen. Hochräder, Fahrräder, Motorräder finden sich in Mengen. Die meisten sind sogar fahrbereit. Wer sich weniger für die Verkehrsmittel interessiert, der findet garantiert bei den anderen Ausstellungsstücken Interessantes: Bilder, Fotografien, Uhren, Klingeln, Porzellan, Glas – aber alles versehen mit Radfahr-Motiven.

Fahrradgeschichte der letzten 150 Jahre gibt es in den Sammlungen des Museums zu sehen

Für Dinus Voß begann alles mit einem Radklingelkopf aus Glockenbronze, den er von seinem Vater geschenkt bekam. Aufschrift „Gebr. Freese. Norden“. Was tut man, um Näheres über ein solches Objekt zu erfahren? „Recherchieren!“, sagt Dinus Voß, der damals 15 Jahre alt war. Er ging ins Staatsarchiv in Aurich und las in Akten, die seit Jahrzehnten kein Mensch mehr in der Hand gehabt hatte. „Anscheinend hat sich nie jemand für das Thema interessiert.“

Auf der „Straße“: Fahrräder im Ständer vor einem „Ladengeschäft“

Voß sondierte Werbeanzeigen, schaltete selber Anzeigen, um Details zu erfahren. Er las über die vielen Fahrradhändler, die es in Ostfriesland gab, und er machte „Beifänge“ – erfuhr einiges über frühe Autos, über die Fahrradproduktion. Das war der Anfang, und der wurde nach und nach systematisch ausgebaut. Parallel dazu machte sich der junge Mann Gedanken, wie er Ankäufe finanzieren könne – und mählte unter anderem Rasenflächen, um sein Taschengeld zu vergrößern. Denn „auf Pump geht nichts.“ Das ist das Prinzip von Dinus Voß bis heute. Jedes Stück seiner umfangreichen Sammlung ist abgerechnet.

Davon ist sogar Katze Nina begeistert: Hochrad von 1883

Das Sammeln an sich ging allerdings weniger systematisch vor sich. Denn Voß musste manches Mal tüchtig verhandelt, obwohl er wusste, dass er eigentlich chancenlos war. In einem Fall ging es um einen Fahrradklingelkopf mit der Aufschrift „Klingeling“. Den hatte Voß im Netz entdeckt und sofort versucht, den Verkäufer zu kontaktieren. Als das endlich gelang, war die Klingel bereits verkauft. Pech gehabt, dachte Voß. Kurze Zeit später rührt sich das Telefon. Der Verkäufer ist dran. Man habe sich entschlossen, die Klingel zurückzukaufen und nach Wybelsum zu geben – ins Ostfriesische Zweiradmuseum.

Seit 2011 besteht das Museum – und ist inzwischen vom Museumsverband Niedersachsen und Bremen e.V. mit einer Empfehlung versehen werden: „Insgesamt ist ihre Ausstellung gut strukturiert und bietet viele überraschende Details.“ Das Restaurierungskonzept bei größtmöglicher Bewahrung der Originalstruktur sei vorbildlich und werde „schon heute Museumsstandards gerecht“, schreibt Geschäftsführer Dr. Thomas Overdick am 2. Mai 2022, Das Problem, das auch Overdick feststellt, ist die fehlende Klimatisierung und die schwere Erreichbarkeit des Museums in der Wybelsumer Folkertswehrstraße.

Damit hatte Overdick einen Nerv getroffen. Denn auch Ehepaar Voß war sich darüber klar, dass es ein Museum im Polder auf Dauer schwer haben würde, in einen regulären Betrieb zu gehen. Denn das ist das Ziel, und dafür hat Franziska Voß schon so einige Weiterbildungen beim Museumsverband mitgemacht, um die Kenntnisse weiter zu professionalisieren.

Hart erkämpft: der Klingelkopf mit der Aufschrift „Klingeling“

Und dann kam das Apollo-Theater ins Spiel, das zu jener Zeit um eine neue Nutzung rang. In einer Eilaktion setzte sich eine kleine Mannschaft zusammen, die einen Entwurf entwickelte und einen entsprechenden Antrag schrieb. Dieser entsprach den Auflagen des Denkmalschutzes, würde dem Gebäude das vierte Stockwerk zurückgeben, den Kinosaal unangetastet lassen, den Stigt, der noch vorhanden ist, wieder freilegen und um einen Bootsanleger bereichern. Durch den Verkauf von Wohnungen im Haus und dem Einbau eines Restaurants ließ sich die Finanzierung sichern. Das Museum sollte in den Kinosaal einziehen. Familie Voß wollte selber auch im Apollo-Gebäude einziehen. Alles schien geklärt. „Wir waren überzeugt: Das ist es! Das ist die Möglichkeit, das Apollo unter den Maßgaben des Denkmalschutzes solide zu entwickeln.“

Das war’s dann aber doch nicht. Franziska und Dinus Voß erhielten den Zuschlag nicht. An dieser Zurückweisung haben sie immer noch zu arbeiten, weil sie nicht verstehen, wie es möglich sein kann, dass eine nach ihrem Verständnis passgenaue Lösung abgelehnt wird. „Emden hätte das Museum kostenfrei dazubekommen“, hadert Dinus Voß.

Auch die unterschiedlichen Beleuchtungsmöglichkeiten von Fahrrädern zeigt das Zweiradmuseum

Das Ehepaar wurde auf der Suche nach einem anderen Standort in anderen ostfriesischen Kommunen vorstellig. Die Reaktionen seien durchweg positiv gewesen. Allerdings sei bisher noch keine passende Räumlichkeit gefunden worden. Und so bleiben nun die beiden Tretkurbel-Velocipede von 1869, das Kindertandem-Unikat, das rostige Fahrrad, das für den Transport von Milchkannen genutzt wurde, die historischen Motorräder und Hunderte von Ersatzteilen, Bildern, Dokumenten, dazu alte Ladentresen, Glasaufsätze, Schränke, Fassadenteile in der Wybelsumer Scheune – vorerst, jedenfalls.

► Das Ostfriesische Zweiradmuseum ist in der Folkertswehrstraße 7 beheimatet. Besichtigung nach Absprache. Kontakt: Tel. 0 49 21 / 9 93 43 34, Mobil 0160 / 5 12 65 23, E-Mail: moin@ostfriesisches-zweiradmuseum.de, Homepage: www.ostfriesisches-zweiradmuseum.de

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