Den Funkenflug anregen

Emden. Sie hat Tee zubereitet – und eine Zwei-Liter-Kanne mit Kaffee. „Unsere Kaffeemaschine kann nur solche Riesenmengen kochen“, sagt Jasmin Alley und zuckt die Achseln. Doch ob Kaffee oder Tee auf den Tisch kommen, ist ihr eigentlich egal. „Ich bin da anpassungsfähig.“

Anpassungsfähig zu sein, viele Dinge aufnehmen zu können und, wie sie selber sagt, „zwischen unterschiedlichen Welten spazieren“ – das sind Fähigkeiten, die sie in der Anfangsphase ihrer neuen beruflichen Herausforderung gut brauchen kann. Denn die Kunsthistorikerin arbeitet sich seit ihrem Dienstantritt am 1. Dezember 2021 systematisch in ihr Aufgabenfeld als Direktorin des Ostfriesischen Landesmuseums Emden ein. Dabei hat sie eine klare Vorstellung, wie sie vorgehen will – zunächst nämlich vorwiegend nach innen. Das Museum und die Mitarbeiter stehen im Fokus – zuhören, was die langjährigen Wissenschaftler sagen, das Haus durchstreifen, die Magazin-Bestände anschauen, immer wieder Gespräche führen.

Die neue Chefin im Ostfriesischen Landesmuseum: Jasmin Alley

Daneben aber: den Ort, der jetzt ihr Zuhause ist, erfühlen und verstehen – inhaltlich, aber auch räumlich. Das liegt ihr besonders am Herzen. Denn die gebürtige Bremerin war zuvor in Hamburg tätig und ist andere Dimensionen gewöhnt. Eine junge Frau mit Familie in einer kleinen Stadt? „Ich wohne gleich um die Ecke, kann alles mit dem Fahrrad abfahren. Alles ist schnell erreichbar. Das ist wunderbar!“ schwärmt Jasmin Alley.

Auch das Magazin in Borssum wird per Rad angesteuert – und sie ist oft dort, um mit den Mitarbeitern, die dort alle ein Büro haben, zu konferieren. Die zentrale Frage: Wo wollen wir mit dem Landesmuseum hin? Was können wir uns vorstellen? Wie sieht der Bedarf aus? Wie müssen wir uns strategisch aufstellen? Wie bekommen wir Menschen ins Haus, die ein Museum nicht ständig aufsuchen? Aber auch: Wie kann man das Haus für Menschen, die regelmäßig kommen, immer wieder aufs Neue interessant machen?

All das ist Thema der derzeitigen Überlegungen. Und obwohl Jasmin Alley derzeit also intensiv beschäftigt ist, lässt sie ein besonderes gedankliches Konstrukt schon einmal zu. Benötigt das Ostfriesische Landesmuseum eigentlich wirklich eine so monumentale Dauerausstellung oder gibt es andere Möglichkeiten, ein Haus in die Zukunft zu führen?

Zukunftsfähigkeit ist ein Thema, das zu ihrem ureigenen Aufgabenbereich gehört. Im jüngsten Kulturausschuss ließ sie schon durchblicken, dass sie verstärkt auf eine Kraft setzt, die in Emden überaus reich vorhanden ist – die Leidenschaft der Bürger für die Geschichte der Stadt und der Region, wie sie in vielen musealen Objekten fassbar wird. Sie will die „Kraft der Objekte nutzen“ indem sie eng verknüpft werden mit ihrem jeweiligen Narrativ. „Es ist durchaus die Aufgabe eines Museums, Erzählungen zugänglich zu machen.“

Das Bild entstand anlässlich ihres Dienstbeginns: Gregor Strelow, Vorsitzender von 1820dieKUNST, Kerstin Rogge-Mönchmeyer, die damalige kommissarische Museumsleiterin, Jasmin Alley und Oberbürgermeister Tim Kruithoff.

Sie habe unter anderem fast fünf Jahre für eine Ausstellungsagentur gearbeitet und Kunden-Aufträge bearbeitet, sagt Jasmin Alley. Dabei habe sie gelernt, in flachen Hierarchien zu denken und gemeinschaftlich Ziele zu entwickeln. Sie wisse daher darum, wie sinnvoll es sein könne, ab und an den wissenschaftlichen Fokus ruhen zu lassen und Museales durch Geschichten zu verlebendigen. „Wir haben hier eine 202 Jahre alte Sammlung und müssen sie aus heutiger Sicht betrachten.“

Zu diesem ihrem Ansatz gehört auch etwas, dass sie sich gerade erst angesehen hat – die inzwischen schon historischen Aufnahmen des einstigen Amateur-Filmclubs. Der Nachlass des Clubs lagert im Stadtarchiv, das auch zum Verantwortungsbereich von Jasmin Alley gehört. Das Material hat sie fasziniert, und sie sieht auch hierin viel Potenzial.

Hat sie bereits aus ihren ersten Eindrücken eine Vision entwickeln können, um dem Museum die angesprochene Zukunftsfähigkeit zu sichern? Nein, das sei eine Gemeinschaftsaufgabe des Teams, sagt sie. Da wolle und dürfe sie nicht vorgreifen. Ihre Aufgabe als Direktorin sei es, „den Funkenflug anzuregen“ und Arbeitsbedingungen zu schaffen, ihn zu ermöglichen.

Gedanken hat sie sich aber – ganz grundsätzlich und unabhängig vom Landesmuseum in Emden – um das Sammeln von musealen Artefakten gemacht. Was soll eigentlich gesammelt werden? Wodurch wird ein profanes Objekt zum kulturellen Erbe einer Zeit? Woran sollen sich künftige Generationen überhaupt erinnern, wenn sie die heute gesammelten Bestände sehen? Und in wie weit lassen sich die einzelnen Narrative (sinnstiftende Erzählungen) in größere Zusammenhänge einbetten? Ein Beispiel sei die kleine Corona-Sammlung, die unter ihrem Vorgänger, Dr. Wolfgang Jahn, angelegt worden sei. Man sei damals der Pandemie mit selbst geschneiderten Masken entgegen getreten. Und schon nach zwei Jahren sei eine historische Situation entstanden, von der die Sammlung provisorischer Masken erzählen könne.

Beispiele von nicht erzählten Geschichten hat Jasmin Alley im Museum auch schon entdeckt. Zum einen ist es ein mittelalterlicher Taufstein, der bei einer Sturmflut aus der Kirche gespült und wiedergefunden wurde, der aber eine derart hohe Versalzung aufweist, dass er im Begriff ist, sich aufzulösen. Und die zweite Sache ist die fehlende Darstellung des Torfabbaus. Das verwundert sie umso mehr als zahlreiche Fehnorte auf Betreiben Emder Kaufleute gegründet wurden. „Sammeln bedeutet ja, die Welt in bestimmter Weise zu ordnen.“ Aber auch das, was in einer Sammlung nicht vorhanden sei, spräche Bände.