Ein Tagebuch wiederentdeckt

Am 23. Januar lädt die Neue Dienstagsrunde von 1820dieKUNST um 19 Uhr zu einem Vortrag in den Rummel des Rathauses ein. Referenten sind Gisela und Heiner Köneke, die „Das Tagebuch der Wübke Lott“ vorstellen. Wie es zu dieser Publikation kam und was drin steht, schilderte Köneke im letzten Jahr vor der AG Lokal- und Regionalgeschichte Ostfrieslands. Der Eintritt ist frei.
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Emden / Rorichum. Vier Rorichumer haben sich mit der Geschichte des Ortes beschäftigt und daraus zwei Publikationen entwickelt. Basis ihrer Arbeit waren Bilder, Urkunden und Dokumente der Dorfbewohner, die in reichem Maße bei ihnen eingingen, insgesamt trugen die etwa 450 Bewohner des Ortes rund 3600 Dateien zusammen.

Ehepaar Lott vor ihrem Haus in Rorichum. Bilder: Köneke

Das berichtet Heiner Köneke, pensionierter Lehrer und Mitglied der AG Lokal- und Regionalgeschichte Ostfrieslands. Im letzten Jahr referierte er vor den Regionalhistorikern über eines der Bücher, das er und seine Kollegen herausgegeben haben. Es sind die Tagebuchaufzeichnungen der Rorichumerin Wübke Lott (1885 bis 1980), die sich neben vielen anderen Unterlagen in dem Konvolut an Aufzeichnungen der Dorfbewohner fanden. Allerdings hatten die Bearbeiter zunächst nur Fotokopien in Händen, erst später meldete sich eine Großnichte der Wübke, die die originalen handschriftlichen Bücher in Besitz hatte. Diese Originale befinden sich heute in der Landschaftsbibliothek und sollen dort digitalisiert werden.

Köneke aber hatte zunächst die Aufgabe, 300 Seiten handschriftliche Aufzeichnungen aus der Sütterlin-Schrift zu transkribieren, wobei zunächst die 90-jährige Mutter half. Die hatte die alte Schrift noch in der Schule gelernt und konnte die Texte mühelos lesen. Bald aber war Köneke soweit, alleine weitermachen zu können.

Wübke Lott (dritte von links) mit Besuch

Wübke Lott hat nahezu täglich Notizen gemacht – auf Hochdeutsch. Teilweise ist es Selbsterlebtes, das sie aufschreibt. Darunter finden sich viele Anmerkungen zum Alltag: der Garten wird verkleinert, um mehr Obst und Gemüse anzubauen. Ihr Mann verdingt sich als Arbeiter, um Torf zu bekommen.

Sie bezieht sich aber auch Zeitungsartikel, auf Mitteilungen von Nachbarn und Freunden. „Wübke Lott hat ihre Notizen locker heruntergeschrieben, dennoch wirkt alles sehr ehrlich“, versichert Köneke. Zugleich schreibe sie mit einer Distanz, die keinen Gefühlsausbruch zulasse. Ein einziges Mal finde sich in ihrem Aufzeichnungen ein Wort wie „Oje!“ Das war, als sie nach einer durch Beschuss verursachten Flucht zurückkehren, das Haus verwüstet vorfinden und drei Leichen vor der Tür entdecken.

Politische Aussagen sind nicht verzeichnet. So kommt der Name Hitler im gesamten Buch nur zweimal vor, ebenso wie das Wort „Angst“. Am häufigsten finden sich – je 88 mal – schön, kalt, warm und Bienen. Wübkes Mann war unter anderem auch Imker. Im Mittelfeld liegen mit je 50 Nennungen: Tee, Bombe und Krieg. Weniger häufig wird von Tabak, Mehl und Milch gesprochen. Rorichum, so wurde deutlich, sei ein Frontdorf gewesen, sagt Köneke. Zwischen Oldersum und Rorichum lag die „Grenze“, die mit Stacheldraht gesichert war.

Während der Arbeit am Buch habe er auch viel über die Frau selber erfahren. Wübke Lott sei freundlich gewesen, aber sehr bestimmend in ihrem Auftreten. Sie war kinderlos, aber kinderlieb. So hatten die Lotts über die Kinderlandverschickung ein Mädchen aufgenommen, das als Pflegetochter benannt wurde. Sie stammte aus Hamburg, weshalb Wübke auch über Vorgänge in der Hansestadt informiert war, die sich teilweise auch in den Tagebüchern wiederfinden, ebenso reichte der Blick auch bis Emden. Die Angriffe auf die Seehafenstadt habe man von Rorichum aus gut sehen können.

► Das Buch „Wübke Lott. Wir werden schon durchkommen. Ein ostfriesisches Tagebuch 1940-1950“ ist in einer Kleinauflage von 300 Stück erschienen. Neben dem Text sind rund 150 Bilder abgedruckt. Zu bekommen ist das Buch für 20 Euro über Heiner Köneke (Tel. 04924 / 2904 oder mail heiner.koeneke@gmx.de) oder bei Cassi (Tel. 04924 / 2006)