Blick ins All ist ein Blick in dessen Geschichte

Emden. Die „Naturforschende Gesellschaft zu Emden von 1814“ hat eine Vortragsreihe mit dem Titel „Schöpfung aus dem Nichts“ aufgelegt, in der Wissenschaftlicher aus ganz unterschiedlichen Fachgebieten einen Blick auf die Entstehung des Universums werfen. Eröffnet wurde der Zyklus am Mittwoch (17. Januar) vom dem Gravitationsphysiker Dr. Jean-Luc Lehners (Jahrgang 1978) aus Potsdam mit seinem Vortrag „Der Anfang von Zeit und Raum“.

Dr. Lehners bei seinem Vortrag im Atrium der Kunsthalle. Bilder: Wolfgang Mauersberger

Lehners ist Leiter der ERC-Forschungsgruppe „Theoretische Kosmologie“ am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. Zugleich aber ist er ein begabter Referent, der im Atrium der Kunsthalle vor einem sehr großen Plenum frei sprach, wissenschaftlich komplexe Sachverhalte allgemeinverständlich herunterbrach und zudem auch noch mit verblüffenden Beispielen und Vergleichen zu unterhalten wusste.

So machte er etwa das Tempo der Lichtgeschwindigkeit vorstellbar, indem er darauf verwies, dass das Licht von der Erde zum Mond eine Sekunde benötigt, von der Erde zur Sonne acht Minuten, von der Erde zur Nachbar-Galaxie, dem Andromeda-Nebel aber zwei Millionen Jahre. Somit sei der Blick ins All immer ein Blick in dessen Geschichte. Die Lichtgeschwindigkeit sei unveränderlich, Raum und Zeit aber nicht.

Schon im frühen 20. Jahrhundert hätte ein Forscher errechnet, dass sich die Galaxien, von denen es 200 Milliarden gäbe – jede bestückt mit hunderten Milliarden Sternen – von der Erde fortbewegen. Zwischen den Galaxien herrsche absolute Leere. Dehnen sich die Galaxien aus, würde durch die Expansion in die Leere neuer Raum entstehen. Außerhalb des Universums existiere nichts.

„Das frühe Universum war heiß und dicht“, erläuterte der Referent, der am Imperal College London und an der Universität Cambridge studierte. Damit sei der Blick in diese Phase der Entwicklung nicht möglich – zumindest mit derzeitigen Methoden nicht. Bis 380 000 Jahre nach dem Urknall sei das Universum unsichtbar gewesen.


Für den sogenannten Urknall, also jenen Punkt, an dem die Entwicklung ihren Ausgang genommen habe, legte Lehners zwei Theorien vor. Die eine geht davon aus, dass das Universum sich zusammenzieht und – veranlasst durch den Urknall – wieder ausdehnt. Mit der Quantentheorie dagegen sei dann eine Schöpfung aus dem Nichts berechenbar geworden. Raum und Zeit entstünden aus einer Art Blase heraus, wobei zunächst ein vierdimensionaler Raum entstehe.

Die Urknall-Theorie, die von einem punktuellen Beginn und einem sich dann ausweitenden Universum ausgeht

Mit der Ausdehnung des Universums verwandle sich eine dieser Dimensionen in die Zeit. „Die Idee gab es schon lange – es fehlten die Beweise dafür“, sagte Lehners. Dieser Beweis sei aber errechenbar, wenn man eine neue Form der Mathematik verwende. Angewandt auf die beiden Modelle bedeute dies, dass sich die Theorie eines Urknalls, gefolgt von einer Ausweitung des Universums, nicht rechnerisch belegen lässt, während das zweite Modell berechenbar ist. Damit sei zugleich klar, dass überall im Universum dieselben Naturgesetze gelten.

Mit der Quantentheorie ist die Entwicklung des Universums berechenbar geworden

Das Publikum zeigte sich völlig fasziniert von den Ausführungen des Referenten, und es entspann sich eine höchst lebhafte Diskussion.

► Den nächsten Vortrag der Reihe bietet die Naturforschende am 14. Februar um 19 Uhr im Max-Windmüller-Gymnasium an. Referent ist der Wissenschaftshistoriker Dr. Michael Weichenhan, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Johannes a Lasco Bibliothek. Er spricht über „Weltentstehung und Musik“.