Im Fundbüro verlorener Momente

Emden. Jakob Schwerdtfeger ist Kunsthistoriker und Comedian. So stellte er sich bei seinem Auftritt in der Kunsthalle (4. April) vor. Zugleich ist er auch Autor und präsentierte seinen ganzen Stolz, sein Buch „Ich sehe was, was Du nicht siehst und das ist Kunst“. So lautet der provokante Titel einer Publikation, die persönliche Vorlieben auf heitere Weise mit Bedeutung und Auswirkungen von Kunst kreuzt.

Dieses Gemälde Vincent van Goghs hatte viel mit Jakob Schwerdtfegers Neigung zur Kunstgeschichte zu tun, denn es vereint drei Stilrichtungen. Bilder: Wolfgang Mauersberger

Für Schwerdtfeger ist die Abstraktion ein Lieblingsthema. Da er weiß, dass „abstrakte Kunst kein Publikumsmagnet“ ist, geht er der Frage nach, warum das so ist – und kommt zu durchaus schlüssigen Erklärungen. Dass nämlich Abstraktionen nicht auf der Basis von Verständnis funktionieren, sondern vielmehr auf persönlich-emotionalen Zugängen. Dass Kunst nichts mit Können, sondern mit Originalität zu tun hat. Dass Menschen Gemälde kaufen – nicht wegen des Bildes um seiner selbst willen, sondern wegen der Geschichte, die sich darum rankt.

Steht stets unter Strom: Jakob Schwerdtfeger beim Lesen aus seinem Buch

Dass Schwerdtfeger nebenbei auch allerhand skurriles Detailwissen in seinen Monolog einband, machte den Abend zu einem lehrreichen Format. Einige Beispiele: die Anregung für die fließenden Uhren kam Salvatore Dali beim Anblick eines zerfließenden Camemberts. Dali war es auch, der mit einem Ameisenbären an der Leine spazieren ging, um seinen Ruf als Exzentriker zu festigen, und der – angeblich – seinen Bart mit Ozelot-Exkrementen fixierte. So etwas sollte man als gebildeter Mensch natürlich wissen.

Hält im Bereich der Kunstgeschichte viele Antworten bereit: der Comedian und Autor Schwerdtfeger

Der Comedian macht alles schnell – reden, denken, lesen. Dabei hat er das Publikum stets im Blick. Dieses ist langsamer als der flotte Schwerdtfeger, der nun allerdings alles andere als ein Produzent von Schenkelklopfern ist. Oder haben wir da etwas missverstanden? Der Mann auf der Bühne bezieht derweil das Publikum mit ein, zeigt ein abstraktes Bild, lässt raten und rätseln, bis er den Clou präsentiert. Das Bild stammt von dem begabten Schwein Pigasso, das erst vor einigen Tagen achtjährig gestorben ist. Die farbstarken gestischen Figurationen regten die Besucher zu lebhaften Identifizierversuchen an. Allein, auf die Idee, dass es sich hier um ein tierisches Werk handelt, kam niemand. Das wiederum veranlasste Jakob Schwerdtfeger zu dem Satz, dass man sich bei Kunst eben nie sicher sein könne.

„Du kannst Dir in der Kunst nie sicher sein“: Gemälde vom Schwein Pigcasso

Schwerdtfegers Lieblingsbild? Vermeers „Magd mit Milchkrug aus der Mitte des 17. Jahrhunderts. Warum gerade dieses? Weil sie genau das Gegenteil seiner eigenen Befindlichkeit darstellt, ein „Ideal der Ruhe“ oder „eine gemalte Meditation“, sagt der „immer unter Strom“ stehende Schwerdtfeger. Ganz zum Schluss zieht er selber ein Fazit: „Kunst, das ist ein Fundbüro verlorener Momente“ – und lässt das Publikum mit leisem Lächeln zurück.