Ehrung für Pastor Hermann Immer

Emden. Direkt vor dem Diakonenportal von 1660 der einstigen Großen Kirche, heute: Johannes a Lasco Bibliothek – wurde ein Stolperstein für Pastor Hermann Immer (1889 bis 1964) platziert. Große Teile der Familie Immer waren dabei, als man den 400. Stein in Emden setzte. Unter anderem war Immers Enkelin Elisabeth Adler mit ihrem Mann Henning aus Oldenburg gekommen, um die Zeremonie zu begleiten, die vom Arbeitskreis Stolpersteine Emden initiiert wurde.

Familie Immer mit dem rosenumkränzten Stolperstein vor der Johannes a Lasco Biblothek. Im Hintergrund das Diakonenportal von 1660. Bilder: Wolfgang Mauersberger

Johanna Adickes hatte das Leben des Pastoren, der in Emden bekannt war für sein mutiges Eintreten für Verfolgte in schwierigen Zeiten, zusammengestellt. Dabei konnte sie sich auf Recherchen der Familie stützen, fand jedoch in den Archiven von Aurich, Oldenburg und Bethel allerhand Neues heraus. So etwa die Geschichte des Hafenarbeiters Jan Klaassen, der sich vehement für Immer einsetzte, als dieser von den Nazis festgesetzt wurde. Dafür kümmerte sich Immer um seinen Unterstützer, als dieser Hilfe benötigte.

Immer war es auch, der die Bindung der Kirche an den Staat missbilligte, sagte Johanna Adickes. Dadurch sei die Kirche „amputiert“. Wie es sich genau mit Immer und seinem Engagement verhielt, das schilderten zwei Schülerinnen der 10. Klasse der Oberschule Borssum (Klassenlehrerin Dorothee Warm)Leonie Freese und Lisa Marie Lauer – in den biographischen Notizen, die auf der Basis der wesentlich umfangreicheren Recherchen von Johanna Adickes entstanden. Diese sollen hier im Wortlaut dokumentiert werden, weil sie ein sprechendes Zeugnis für die Haltung Hermann Immers sind. In den Texten wird auch deutlich, warum Immer mit dem Stolperstein geehrt wird.

Hat die Biographie Hermann Immers recherchiert und sprach bei der Stolperstein-Verlegung: Johanna Adickes

Leonie Freese übernahm den ersten Teil der Biographie:
Fragte man vor 20 Jahren die älteren Menschen in Emden nach Hermann Immer, dann hieß es: „Ja, das war noch mal ein Pastor! Wenn du in Not warst, gingst du zu Hermann Immer. Der half!“ Andere erinnerten sich daran, dass er von den Nazis verfolgt wurde. Wer war dieser Mann und warum geriet er mit den Nazis in Konflikt?

Hermann Immer entstammte einer kinderreichen Pastorenfamilie. Er wurde am 10. November 1889 als Sohn von Carl Eduard Immer aus Ischledimmen (Ostpreußen) und seiner Ehefrau Flora Immer, geb. Eilers aus Ruhwarden (Butjadingen) in Manslagt geboren. Nach Abschluss des Gymnasiums studierte er Evangelische Theologie in Tübingen, Berlin und Bern.

Lasen die Biographie: Leonie Freese (rechts) und Lisa Marie Lauer. Zwischen den beiden steht Klassenlehrerin Dorothee Warm, die ebenfalls Mitglied im Arbeitskreis Stolpersteine Emden ist, dahinter der neue Vorsitzende des AK, Tom Sprengelmeyer, und links neben ihm, Johanna Adickes

1911 war er zunächst Hilfsprediger in Bedekaspel und Ihrenerfeld und wollte nach dem Tod seines Vaters dessen Arbeit in Manslagt fortsetzen. Dazu kam es aber nicht, weil er zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Schwer verwundet – ein Bein musste amputiert werden – kehrte er aus dem Ersten Weltkrieg zurück.

Am 1. Februar 1916 heiratete er in Basel Elisabeth von Orelli, Tochter des Theologieprofessors Conrad von Orelli. Sechs Kinder gingen aus dieser Ehe hervor, die Söhne Martin, Theodor, Nikolaus und Friedrich sowie die Töchter Elisabeth und Helene. Nach acht Jahren als Pastor in Manslagt wechselte Hermann Immer nach Emden, wurde Pastor an der Großen Kirche und war zuständig für den Innenstadtbereich mit den Bezirken Port Arthur / Transvaal. Er hatte bewusst um diesen Bezirk mit den schwierigsten sozialen und menschlichen Problemen gebeten.


Als Ende der 20er Jahre die Arbeitslosigkeit auch in Emden stieg und viele Arbeiterfamilien Hunger litten, wurden Pastor Immers Haus und seine Familie zur „Sozialstation“, wie es sein Sohn später ausdrückte. „Wir haben keine Mahlzeit ohne Fremde am Tisch erlebt. Freie Räume, auch Keller und Treppenhaus wurden zu Notschlafplätzen für Obdachlose.“ Pastor Immers Offenheit gegenüber Andersdenkenden und seine Großzügigkeit kamen allen Notleidenden zugute, egal ob Kommunist, Sozialist, Atheist oder anderer Religion, ob Alkoholiker oder „Arbeitsscheuer“.

Leistete Widerstand gegen das Regime. Dafür wird Hermann Immer mit dem Gedenkstein geehrt

Als sich nach der Machtübertragung an Adolf Hitler die politischen Auseinandersetzungen verschärften und die Nationalsozialisten zunehmend Einfluss auf die Kirchen nahmen, organisierten sich kritisch engagierte Christen in der „Bekennenden Kirche“, so auch Hermann Immer. Er lehnte eine „deutsch-christliche Reichskirche“ entschieden ab, forderte den Bruch mit ihr und beharrte darauf, konsequent den Weg des Bekenntnisses zu Gottes Wort zu gehen, unabhängig von den Folgen.

Daher stand er trotz der Rassengesetze weiterhin Menschen jüdischen Glaubens bei. Damit geriet er ins Blickfeld des NSDAP und ihres Kreisleiters Bernhard Horstmann. „Wir brauchen keine Pastoren, die vom Rad springen und jüdische Frauen trösten“, äußerte dieser bei einer Kundgebung auf dem Neuen Markt. Der Hintergrund: Pastor Immer hatte die Jüdin Fanny Fisser nach der Pogromnacht getröstet, als er sie „Zwischen beiden Sielen“ traf und ihre Tränen sah. Sie erzählte: „Unsere Männer sind alle weggebracht worden, und wir wissen nicht, wo sie sind! Wer weiß, ob wir sie jemals wiedersehen!“

Am Abend gab es noch einen Festakt in der Johannes a Lasco Bibliothek aus Anlass des 90. Jahrestages der Barmer Erklärung, die das theologische Fundament der Bekennenden Kirche (BK) in der Zeit des Nationalsozialismus war

Die Ereignisse der Pogromnacht hatten Hermann Immer schockiert. „Jöden worden verbannt, und wie worden nahster verbrannt“ hatte er gegenüber David de Beer voraussehend gesagt. Das führte bei ihm jedoch nicht zu politischem Widerstand. Er sah seine Aufgabe vorrangig im Predigtamt und in der aktiven Hilfe für notleidende Menschen. So kümmerte er sich als Gefängnisseelsorger um Inhaftierte und deren Familien. Er besuchte die Gefangenen und schrieb Gesuche für ihre Freilassung.

Doch „wenn die Frauen und Mütter dastanden mit den Urnen ihrer Männer, die in Buchenwald, Sachsenhausen, Esterwegen zusammengeschlagen und ermordet worden waren, dann hat er ihnen Trost und Halt gegeben und die Urnen in würdiger Zeremonie bestattet. Das hat man ihm nie vergessen.“

Lisa Marie Lauer setzte die Biographie fort

Die Folgen seines Handelns bekam Pastor Immer direkt nach dem Überfall der deutschen Armee auf Polen zu spüren. Am darauffolgenden Sonntag predigte er in der Großen Kirche über Psalm 27.
„Der HERR ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?“ Diese Predigt wurde von zwei beauftragten NS-Frauen abgehört, zwecks „Überwachung der Stimmung in der Bevölkerung“ und falsch wiedergegeben.

Kirchenpräsidentin Dr. Susanne Bei der Wieden hielt am Abend die Festrede

Bereits am Abend wurde Hermann Immer von der Gestapo verhört, aber wieder nach Hause entlassen. Kreisleiter Horstmann drängte daraufhin Oberbürgermeister Carl Heinrich Renken, für Hermann Immer Schutzhaft anzuordnen, weil dieser die „Widerstandskraft unseres Volkes durch lähmende Stimmungserzeugung zu schwächen“ versuche. Noch in derselben Nacht wurde Hermann Immer zu Hause festgenommen und ins Gefängnis hinter dem Rathaus gebracht.

Die Verhaftung von Pastor Immer verbreitete sich wie ein Lauffeuer in Emden! Besonders unter den Hafenarbeitern regte sich Widerstand, denn er war einer der Ihren mit seiner Solidarität und Hilfsbereitschaft. Gleich am nächsten Morgen, dem 4. September 1939, erschien der Kranführer Jan Klaassen bei Oberbürgermeister Renken und forderte im Namen der Hafenarbeiter: „Wenn Hermann Immer nicht am nächsten Sonntag wieder in der Großen Kirche zu sehen ist, dann gifft‘ Skandal bi uns in Hafen!“

Gestalteten den Festakt musikalisch: Claudia Thül und Robert Willms

Das bedeutete Streik im ganzen Hafen. Der Oberbürgermeister lenkte ein, und Hermann Immer kam am 6. September 1939 abends vorläufig frei, erhielt aber absolutes Tätigkeitsverbot. Das traf ihn schwer und er war, je länger er zur Untätigkeit „verurteilt“ war, oft sehr deprimiert, zumal er die Nachricht vom Tod seines ältesten Sohnes Martin erhielt, der 1940 als Soldat im Einsatz gewesen war.

Hermann Immer glaubte noch an die Rechtsstaatlichkeit und hoffte, das Missverständnis aufklären zu können. Er bekam viel Unterstützung vor allem vom Vorsitzenden des Emder Kirchenrates, Jan Weerda, Peter Petersen, sowie weiterhin von Jan Klaassen.

Kreisleiter Horstmann hatte bereits von Gauleiter Carl Röver die Ausweisung Hermann Immers verlangt. Röver beabsichtigte spontan, d.h. ohne weitere Prüfung des Vorfalls, Hermann Immer ins KZ „einzuliefern“ und gab die Sache an die Gestapo-Zentrale in Berlin an Rudolf Heß zur Entscheidung weiter. Klaassen und Petersen fuhren zu Gauleiter Röver nach Oldenburg und auch zur Gestapozentrale nach Berlin und forderten die Aufhebung des Tätigkeitsverbots.

Sie erreichten dies schließlich nach eineinhalb Jahren durch ein vermittelndes Gespräch von Jan Klaassen mit Kreisleiter Horstmann im November 1940. Auch Hermann Immer war aktiv geworden. Er schrieb unzählige Briefe an die Verantwortlichen in Emden, Oldenburg, Wilhelmshaven, Berlin und München und führte zusätzlich persönliche Gespräche mit ihnen.

Erlebte schwere Zeiten: Pastor Hermann Immer

Am 8. März 1941 wurde das Tätigkeitsverbot durch die Gestapo in Wilhelmshaven offiziell aufgehoben. Eine große Stütze war ihm in dieser schweren Zeit seine Frau. Enttäuschend war hingegen die mangelnde Unterstützung seitens des Landeskirchenrates. Dessen Präsident Dr. Walter Hollweg war nicht Mitglied der Bekenntnisbewegung, sondern orientierte sich an den Grundsätzen von Landesbischof August Marahrens.

Der mutige Einsatz von Jan Klaassen, Jan Weerda und Peter Petersen zeigt, dass Widerstand möglich und erfolgreich sein konnte. Nach dem Krieg rief Hermann Immer die „Pfennighilfe“ ins Leben, baute im Auftrag der Landeskirche ein Hilfswerk auf und gründete in Schloss Bentheim ein Heimkehrerwerk (später Müttergenesungswerk). Durch seine guten Kontakte in die Schweiz gelang es, die Schweizer Kirche als Ersatz für die zerstörte Große Kirche aufzubauen. Auch setzte er sich für den Wiederaufbau der Neuen Kirche ein.

Für seine vielfältigen sozialen Aktivitäten, er war Vorsitzender der Inneren Mission, erhielt er 1959 die Wiechern-Plakette. Hermann Immer starb am 27. Mai 1964 im Alter von 74 Jahren in Bunde.