Einblicke in eine Endzeit

Aurich. Zum „Tag der Ostfriesischen Geschichte“ wurde am Sonnabend, 20. November, im Forum der Ostfriesischen Landschaft ein Thema verhandelt, das eigentlich schon im letzten Jahr auf dem Plan stand, dann aber wegen der Pandemie verschoben wurde: „Das Kriegsende 1945“. Die gemeinsame Veranstaltung von Ostfriesischer Landschaft und Niedersächsischem Landesarchiv Abteilung Aurich fand so viel Resonanz, dass der Saal wohl gefüllt war und die Erwartung stieg, als Privatdozent Dr. Michael Jonas, ein gebürtiger Auricher, seinen Vortrag über Einblicke in eine Endzeit begann.

Volles Haus im Landschaftsforum beim „Tag der ostfriesischen Geschichte“.

Der Historiker näherte sich dem Thema deduktiv, indem er das Kriegsende in Ostfriesland von der internationalen Situation der Zeit her beleuchtete. Jonas erläuterte, dass Kriege und Kriegserfahrungen „nicht plötzlich“ enden, und dass der 8. Mai als Gedenktag an das Ende des 2. Weltkriegs lediglich ein symbolisches Datum sei.

Jonas‘ Ausführungen streiften unter anderem den Versuch der Alliierten, von den Niederlanden aus den Westwall zu umgehen und einen raschen Vorstoß ins Deutsche Reich zu ermöglichen, die sogenannte Operation „Market Garden“, die sich in dem Film „Die Brücke von Arnheim“ thematisiert findet. Da der deutsche Widerstand größer als erwartet war, mussten sich die Alliierten unter hohen Verlusten zurückziehen. Dennoch habe Eisenhower später von einem 50-prozentiger Erfolg der Operation gesprochen, Feldmarschall Montgomery gar von einem 90-prozentigen. Das habe Bernhard, Prinz der Niederlande, zu dem lakonischen Kommentar veranlasst, dass die Niederlande einen zweiten „Erfolg“ Montgomerys wohl nicht überstehen würden.

Szenenfoto aus einer Doku über die Befreiung eines Lagers, in dem 1500 polnische Soldatinnen festgehalten wurden.

Hitlers Befehl vom März 1945, eine Taktik der verbrannten Erde auch innerhalb des Reichsgebiets überall da anzuwenden, wo alliierte Truppen vorrückten, fand in Ostfriesland, so führte Jonas aus, keinen Widerhall. Teilweise habe man ihn bewusst unterlaufen, teilweise sei er unter den chaotischen Verhältnissen der letzten Kriegstage nicht mehr ausführbar gewesen. In der Schlussphase des Krieges, im April 1945, seien dann kanadische Truppen ins „militärisch entleerte Ostfriesland“ vorgestoßen. Eine den Kanadiern unterstellte polnische Panzerdivision marschierte nach Wilhelmshaven.

Beide Aktionen fanden sich im Vortrag von Professor Dr. Bernhard Parisius und seiner Frau Astrid Parisius wieder, die über die speziellen Verhältnisse dieser Kriegsphase in Ostfriesland referierten. Der einstige Leiter des Landesarchivs begann seinen Vortrag dementsprechend Ende April 1945, als die Kanadier Ostfriesland erreichten. Als Begründung für die verbissenen Kämpfe der letzten Phase machte Parisius die Tatsache aus, dass der Terror nach innen verschärft worden war. Wer es wagte, eine weiße Flagge zu zeigen wurde erschossen, Fahnenflüchtige richtete man sofort hin.

Für den Weg der polnischen Truppe nach Wilhelmshaven zeigte Parisius ein Filmdokument, das auch die Befreiung eines Frauenlagers mit 1500 polnischen Soldatinnen zum Inhalt hatte. Eine besondere Kuriosität der Geschichte spielte sich in Haren im Emsland ab. Dort musste die gesamte deutsche Bevölkerung auf Befehl der britischen Militärregierung ihre Häuser räumen. Aus Haren wurde für drei Jahre das polnische Dorf Maczków, benannt nach General Stanisław Maczek, der in Wilhelmshaven die Kapitulation der dortigen Marinebasis entgegengenommen hatte.

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Traditionell wird am „Tag der Ostfriesischen Geschichte“ von den beiden Einladenden, Dr. Paul Weßels und Dr. Michael Hermann, ein Überblick über Tätigkeiten von Landschaft und Landesarchiv gegeben, es werden Bücher über ostfriesische Themen vorgestellt und wissenschaftliche Vorhaben benannt. Hier eine kleine Auswahl:

– Die Ostfriesische Landschaft rechnet damit, dass eine „bauliche Ertüchtigung“ des geplanten Magazins in der Auricher Kaserne bis Mitte 2022 abgeschlossen sein wird.

– Der Oll‘ Mai 2022 soll am 14. Mai in der Johannes a Lasco Bibliothek stattfinden. Er widmet sich dann mit zweijähriger Pandemie-Verzögerung dem 200. Jubiläum der Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer.

– Das Fries Museum in Leeuwarden bereitet eine Ausstellung über die Häuptlingszeit in Friesland vor. Dafür werden auch Exponate aus Ostfriesland eingebunden.

– Das Landesarchiv sei sehr zufrieden mit der Resonanz auf ihren Blog für ost-friesische Geschichte, der seit September 2020 läuft und auf zunehmendes Interesse stößt, sagte Michael Hermann. https://ostfrhist.hypotheses.org/