Warum 14 Emder Bedürftige unterstützen

Emden. Sie sind Männer, sie sind reformiert, sie sprechen Plattdeutsch. Bei festlichen Gelegenheit tragen sie zeremonielle Spanische Mäntel, und sie kommen einmal im Jahr bei ihren „Gebern“ vorbei und erbitten eine Spende, die sie an Arme und Flüchtlinge weitergeben – die 14 Diakone der „Diaconie der Fremdlingen Armen“. Und glaubt man dem derzeitigen „Bruder Cassier“ (Vorsitzer), Heino Ammersken, dann betreiben sie ihr ehrenamtliches Geschäft so intensiv, dass es zu einem höchst persönlichen Anliegen wird, von dem man sich auch nicht mehr abwendet.

Emden im 16. Jahrhundert zur Zeit der Flüchtlingsströme: Das Renaissance-Rathaus von 1574/76 steht bereits. Das alte Stadthys am anderen Ende der Rathausbrücke ist noch nicht abgerissen

Die „Diaconie der Fremdlingen Armen“ wurde in einer Zeit gegründet, als Emden rund 8000 Einwohner zählte und 8000 Fremde aufnahm. Es war die Zeit der Glaubenskriege, und die Flüchtlinge kamen vorwiegend aus Flandern und den Niederlanden, wo die Spanier versuchten, die Region zu rekatholisieren. Es waren Fremde, von denen viele nach überstürzter Flucht nach Emden kamen und hier irgendwie versorgt werden mussten. So gründete – der Historie nach – 1558 Johannes a Lasco die „Diaconie“, unterstützt von Gräfin Anna.

Bruder Cassier Heino Ammersken

In seinem Vortrag vor Gästen der „Dienstagsrunde“ von 1820dieKUNST machte Ammersken deutlich, dass die Diakone sich als „Bettler für in Not geratene Menschen“ verstehen. Einmal im Jahr machen Sie sich auf, ihre zumeist langjährigen „Geber“ (Förderer) zu besuchen und von Ihnen eine Spende zu erbitten. Zweimal im Jahr, jeweils zu Ostern und Weihnachten, werden derzeit 50 sogenannte „verschämte Arme“, im Sprachgebrauch der Diakone „Nehmer“ genannt, mit einem Geldbetrag unterstützt, der immer von einem Diakon persönlich übergeben wird, wobei darauf geachtet wird, dass auch das Zwischenmenschliche nicht zu kurz kommt.

Seit einigen Jahren bewähre sich die Zusammenarbeit mit dem Zonta-Club Ostfriesland, der sich auf die Fahnen geschrieben hat, Altersarmut bei Frauen zu bekämpfen, sagte Ammersken. Die Zonta-Damen packen Weihnachtspäckchen, von denen auch die „Nehmer“ der „Fremdlingen Armen“ profitieren.

1660 stiften die Nachkommen der Glaubensflüchtlinge das sogenannte Diakonenportal an der Großen Kirche, heute Johannes a Lasco Bibliothek

Überhaupt wird Zusammenarbeit groß geschrieben. So kooperiert die „Diaconie“ mit Wohlfahrtseinrichtungen, Hilfswerken und kirchlichen Einrichtungen wie der Schuldnerberatung. „Wir müssen ja wissen, wer zu unserer Klientel gehört, daher setzen wir auf Vernetzung.“ Dabei gilt absolute Diskretion. Selbst, wenn die Brüder ihre Sitzungen beenden und mit einem Glas Wein – wobei jeder sein graviertes, eigenes Glas in Händen hält -, anstoßen, schwören sie sich: „Un alles sall vergeten sien!“ Damit wird immer aufs Neue bekräftigt, dass keine Information nach draußen dringen darf – zum Schutz der „Nehmer“.

Doch es sind nicht allein die Bedürftigen in Emden, die betreut werden. Seit 2015 richtet sich das Augenmerk auch auf die heutigen Flüchtlingsströme. „Die Diaconie wurde ja aus einer solchen Situation heraus gegründet.“ So leisten die Diakone 100 bis 120 Mal im Jahr Einzelfallhilfen, wobei jeder Fall zuvor geprüft wird. Weiterhin gibt es institutionelle Förderung, wenn es um Anschaffungen geht, die zur Integration beitragen. Aber auch Kindergärten werden unterstützt, wenn sich herausstellt, dass Eltern ihre Kinder nicht versorgen können. Das reicht dann von der Beschaffung von Bekleidung bis zur Sorge um ausreichende Ernährung.

Um beweglich zu sein, hat sich zur schnellen Entscheidungsfindung ein „Ad hoc-Ausschuss“ gegründet, der innerhalb eines Zeitraums von 48 Stunden einen Beschluss fasst.

Für Heino Ammersken, der seit acht Jahren dabei ist, hat das uneigennützige Tun im Quasi-Geheimen auch Auswirkungen beim Fiskus. Alle drei Jahre liegt er im Streit mit dem Finanzamt, das Belege, Quittungen und Unterschriften für die Arbeit der gemeinnützigen Einrichtung einfordert. Doch er entgegnet dann: „So etwas gibt es bei uns seit 1558 nicht.“ Bisher habe das noch immer klargemacht, dass es sich bei der „Diaconie der Fremdlingen Armen“ um eine Einrichtung handelt, die unter ganz besonderen Umständen, unbürokratisch, überkonfessionell und ohne Ansehen von Herkunft und Nation handelt. Und das seit nunmehr 464 Jahren.

►Kontakt: Heino Ammersken, Westerbalje 32, 26723 Emden