Musikrausch und Sinnen-„Freude!“

Gezeiten-Konzerte eröffnen Saison mit Konzert in der Auricher Sparkassen-Arena

Von Ina Wagner

Aurich
. Welch ein großartiger Auftakt der Gezeitenkonzerte! Daniel Hope und das Ensemble Air gingen auf eine Reise durch die barocke Welt – immer auf der Suche nach unerhörten musikalischen Entwicklungen. Was dabei herauskam war ein (leider nur) gut einstündiges Programm, das aufmunternd, belustigend, nachdenklich, in jeder Hinsicht ansteckend fröhlich wirkte. Das Publikum reagierte verzaubert auf die barocken Klänge, die so vielschichtig, so virtuos, ja stellenweise regelrecht artistisch dargeboten wurden.

Virtuos und feurig: Simos Papanas und Daniel Hope. Bilder: Karlheinz Krämer

Barockmusik ist – getreu dem Motto des diesjährigen Festivals – Sinnen-„Freude!“ – wie nötig war dies nach eineinhalb Jahren Abstinenz im musikalischen Veranstaltungsbetrieb! Was Wunder, dass sich Daniel Hope – nicht nur als vollendeter Geiger, sondern auch als eloquenter Moderator des Abends – gleich mehrfach darauf bezog und versicherte, wie glücklich man sei, wieder auf einer Bühne vor echtem Publikum zu stehen. Und das gleich zweimal an einem Abend.

Musikalisch erfolgte die Eröffnung durch den Percussionisten Michael Metzler.

So wurden es insgesamt 700 Besucher, die in die Sparkassen-Arena nach Aurich kamen. Und die Halle erwies sich als akustisch beherrschbar. Denn Veranstaltungstechniker Dieter Schur hatte am Mischpult die harmonische Ausgewogenheit der instrumentalen Stimmen fest im Griff. Schön war auch die gestochen scharfe Übertragung des Bühnengeschehens auf zwei Großleinwände, so dass sich interessante An- und Einblicke ergaben.

Impression mit Zupfinstrument: Emanuele Forni.

Und wenn, unmittelbar nach dem verlorenen EM-Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen England, der künstlerische Leiter des Festivals, Matthias Kirschnereit, darauf verwies, dass es im Konzert eben keine Gewinner und Verlierer gebe, dann war mit Blick auf die ausgewählten Komponisten und die Instrumentalisten sowieso der Internationalität das Wort geredet. Da standen auf der Bühne: der Grieche Simos Papanas (Geige), die Italiener Nicola Mosca (Violoncello) und Emanuele Forni (Laute), der Japaner Naoki Kitaya (Cembalo), der Sachse Michael Metzler (Percussion) und der gebürtige Südafrikaner mit irischen Wurzeln, der in England aufgewachsene, in Deutschland lebende Daniel Hope. Sie spielten Musik des Barock aus der Neuen Welt, die melodische Versatzstücke unterschiedlichster Herkunft inkludierte, weiterhin erklang Barockmusik aus der Alten Welt, aus Spanien, Frankreich, Italien, dem deutschen Bereich – und all das ausgerichtet auf Komponisten, die die bis dahin gültigen Hörgewohnheiten völlig auf den Kopf gestellt hatten.

Intensives Spiel: Nicola Mosca mit seinem Violoncello.

Was man darunter zu verstehen hat, demonstrierten Hope und das Ensemble Air zum Beispiel an
Musiken des Johann Paul von Westhoff, der schon weit vor Bach Musikstücke für Solovioline komponierte. Das Hörbeispiel aus „La Guerra“ stach darunter hervor, weil das Ensemble es tempomäßig ins nahezu Unspielbare steigerte.

Grandios dargestellt wurde auch die Sonate Nr. 12 d-moll aus dem Opus 1 von Antonio Vivaldi. Das Stück beruht auf dem alten Satzmodell „La Folia“, ergeht sich dann aber in geradezu haarsträubenden Variationen, die die Spielkunst aller Musiker extrem herausforderten. Bei der ersten Aufführung des Werkes seien angesichts des ungewohnten Stils „alle Damen in Ohnmacht gefallen, und alle Herren schreiend aus dem Saal gelaufen“, moderierte Daniel Hope, um dann das Publikum vorzuwarnen: „Sie wissen also, worauf Sie sich einlassen.“

Und noch einmal alle gemeinsam: Simos Papanas, Naoki Kitaya, Daniel Hope, Nicola Mosca, Michael Metzler und Emanuele Forni.

Aber eigentlich musste man sich gar nicht einlassen. Barocke Musik bietet mit ihrer breiten Spanne zwischen äußerster Fröhlichkeit, Tanzseligkeit und melancholischer Gemütsstimmung viele Momente, die dicht und zeitlos allgemein-menschliche Befindlichkeiten berühren. Man kann sich ihr also ganz überlassen – zumal, wenn sie derart lustvoll daherkommt und so perfekt umgesetzt wird wie in diesem dynamischen Konzert, das im übrigen mit Bachs „Air“ aus der 3. Suite für Orchester in D-Dur endete – so, wie es sich für ein Ensemble gehört, dass unter diesem Namen firmiert.

Das Fazit dieses Konzertes? Ein höchst gierig gemeintes: Mehr davon!!!