Grenzerfahrungen

Das zweite Gezeitenkonzert fand in der Johannes-Kirche in Moormerland statt. Insgesamt 150 Besucher sorgten für ein ausverkauftes Konzert – allerdings nur unter Corona-Bedingungen.

Von Ina Wagner

Iheringsfehn/Boekzetelerfehn. Barocke Musik ganz geistlich. Das ist zwar etwas ganz anderes als das muntere Feuer der Weltlichkeit, das Daniel Hope und „Air“ beim Eröffnungskonzert in Aurich entfachten, aber es bot sich ein wirkungsvolles Kontrastprogramm – quasi eine Fortschreibung des ersten Konzertes mit anderen Mitteln.

Nun also Johann Sebastian Bach. Gegenübergestellt wurden ihm Kompositionen Felix Mendelssohn-Bartholdys – bekanntlich der Wiederentdecker Bachs im 19. Jahrhundert. Gespielt wurde dieses zweite Konzert der Gezeiten in der Johannes-Kirche, die auf der Grenze der Ortsteile Iheringsfehn und Boekzetelerfehn in der Gemeinde Moormerland liegt. Es ging also buchstäblich um Grenzerfahrungen.

Lieder von Bach und Arien von Mendelssohn: Bariton Andreas Schmidt. Bilder: Karlheinz Krämer

Zwischen Bach, den Christoph Schoener auf der Janssen-Orgel von 1865 spielte, und Mendelssohn, den Matthias Kirschnereit auf dem Steinway umsetzte, war in einer Art Mittlerstelle der Bariton Andreas Schmidt eingesetzt, der sowohl geistliche Lieder von Bach als auch Arien aus Oratorien von Mendelssohn sang. Allesamt sind es herzzerreißende Texte, die von Verzweiflung, Leiden und Todessehnsucht sprechen.

Umkreist wurden diese Lieder und Arien zumeist von Variationswerken, die in höchster Weise das technische und tatkräftige Agieren der Spieler erforderte, wobei der erste Höhepunkt am Anfang lag, als Christoph Schoener – gleichermaßen einfühlsam wie ausdrucksstark – die Bach-Fantasia „Komm, Heiliger Geist, Herre Gott“ facettenreich und eindrucksvoll registriert interpretierte. Der zweite Höhepunkt lag bei den „Variations serieuses op. 54“ von Mendelssohn, einem ungeheuren Fluss musikalischer Ideen, der ein brillantes Spiel des Pianisten voraussetzte, zumal die Komposition eine eigenständige, höchst anspruchsvolle Auseinandersetzung erforderte. Das war von Kirschnereit einfach brillant gespielt – und glänzte als Grenzerfahrung zwischen dem technisch Möglichen und der interpretatorischen Realisation.

Hatten Spaß am Tee-Präsent: Andraes Schmidt, Christoph Schoener und Matthias Kirschnereit.

Zugleich erwies sich der Hamburger Pianist als sehr feiner Begleiter des Sängers. Der entwickelte allerdings, wie schon zuvor bei den Liedern aus Schemellis Liederbuch, trotz seiner sonoren Stimme eine wenig lyrische Ader, sondern interpretierte mit einer Lautstärke, die den Raum zu sprengen drohte. Da die große Johannes-Kirche zudem noch – auch wegen der minimalen Corona-Besetzung – über einen Nachhall verfügte, hatte man das Gefühl, den Posaunen von Jericho gegenüber zu sitzen und erwartete mit einigem Schrecken den Zusammenbruch der ersten Mauern. Die Kirche blieb heil. Doch die stimmliche Wucht, die einherging mit blitzenden Blicken aus den Augen des Sängers, sorgte für die eindrucksvolle Einschüchterung eines verblüfft erscheinenden Publikums. Eine grenzwertige Erfahrung auch hier.

Auch das gehört in diesem Jahr zum Festival: Desinfektion in der Pause. Da ist auch Kundenbetreuerin Wiebke Schoon mit Eimer und Tüchern unterwegs.

Verständlicherweise gab es keine Zugabe der Musiker. Die wurde indes vom Publikum geleistete, indem es – nach einer Zwischenpause, gewissermaßen einer Fermate – zum zweiten Mal zum Applaus ansetzte und so den Musikern signalisierte: „Freude!“ hat es trotz der ernsten Thematik gemacht.