Berührt von der Anmut der Interpretation

Das dritte Gezeitenkonzert führte nach Westoverledingen

Völlen. Nach einem großen Orchesterkonzert in Esens, einer Veranstaltung mit Perkussionsinstrumenten in Leer, nun also ein Konzert für Gambe solo in Völlen. Gambe? Dieses Instrument, das schon ausgestorben war? Und dann solo? Jawohl! Ein Mimosenkonzert – genau wie die Blume verträgt die Gambe keinen Druck – und die Besucher fanden es toll.

Das Konzert führte durch die historische Geschichte der französischen Musik für Gambe und stellte dem zwei Werke eines modernen Komponisten entgegen, der ebenfalls für dieses Instrument komponiert – Philippe Hersant (geb. 1948). Gambistin Lucile Boulanger spielte und kommentierte. Dies gelang ihr auf äußerst sympathische Weise. Und da die Kirche in Völlen sehr klein ist, Publikum und Musiker sich nahe sind, entstand ein lockerer Austausch zwischen Bühne und Auditorium.

Nicolas Hotman begründete die französische Gambenschule, lernte das Publikum. Er wurde für zwei Generationen von Gambisten zum Lehrer, erläuterte Lucile Boulanger. Sie hatte Werke dieser besagten Komponisten im Programm und zeigte nun im Spiel die Entwicklungslinien auf – bis hin zu Marin Marais, dessen raffinierte Grifftechnik und feinsinnige Melodik ein augenfälliges Merkmal war. Und weil Marais so prägend für die Geschichte der Gambe war, kam er im Programm immer wieder vor.

So auch zum Schluss, als seine brillante, höchst komplexe und spielerisch anspruchsvolle Suite D-Dur einen krönenden Abschluss setzte. Übrigens gab die Musikerin hier einen nachdenkenswerten Hinweis, denn sie machte deutlich, dass Johann Sebastian Bach seine berühmten Suiten für Violoncello solo ja nicht aus dem luftleeren Raum heraus erfunden habe, sondern auf Traditionen fußte. Solchermaßen auf die Spur gebracht, hörten sich die sechs Sätze der Marais-Suite mit einem Mal tatsächlich „anders“ an. Sie waren nicht mehr einfach nur Musik des 1. Viertels des 18. Jahrhunderts, sondern sie bargen den Keim für etwas Kommendes in sich.

Viermal Lucile Boulanger mit ihrer siebensaitigen Gambe.
Bilder: Karlheinz Krämer

Alte Musik muss man sich erarbeiten. Sie wirkt abstrakt, und ihre Klanglichkeit ist eine gänzlich andere als die romantische oder klassische Tradition sie bietet. Aber Lucile Boulanger spielte mit Begeisterung und spielerische Leichtigkeit, so dass man als Hörer berührte wurde von der Anmut der Interpretation.

Bei der Zugabe wich die Gambistin von ihrer französischen Spur ab. Sie wählte ein kleines Werk des letzten großen Gambenvirtuosen des 18. Jahrhunderts – des Deutschen Carl Friedrich Abel (1723 bis 1787) und rundete somit den Abend inhaltlich ab – vom Begründer der Gambenschule zu dessen letztem Vertreter. Der „Moderne“ in diesem illustren Kreis, Philippe Hersant, passte sich hierbei erstaunlich gut ein. Seine Kompositionen lehnten sich im Stil den alten Meistern an, nutzten dazu aber modernes Vokabular. Das war eine bemerkenswerte Entdeckung!