Neuerliche Knochenfunde auf dem Wall weisen ins 18. Jahrhundert

Von Ina Wagner

Emden. Als in den letzten Tagen – beim Umbau des „Falkenhorstes“ zum Kindergarten – auf dem Vogelsangzwinger Knochenfunde gemacht wurden, war das nicht verwunderlich. Denn schon beim Bau des ersten Falkenhorstes 1950 wird von Knochenfunden berichtet, die beim Eintiefen des Fundamentes zu Tage traten.

Das zweite Mal kam es 2007 zu solchen Funden. Der erste Falkenhorst war damals abgebrannt. Für den Neubau war das Ausheben einer neuen Drainage erforderlich. Zu diesem Zweck grub man entlang des alten Fundaments. Dabei tauchten im Erdreich in etwa 80 Zentimeter Tiefe menschliche Knochen und mindestens ein Schädel auf. Die Kripo wurde eingeschaltet und untersuchte den Fund. Die schätzt die Knochen als alt ein – mindestens 80 Jahre. So jedenfalls erklärte es damals die AWO auf Anfrage. Weitere Knochen kamen angeblich bei den fortschreitenden Arbeiten nicht ans Licht. Und wo die Fundstücke geblieben sind, ist unklar. Weder das Ostfriesische Landesmuseum noch die Archäologie der Ostfriesischen Landschaft haben Hinweise vorliegen. Aus den Reihen der AWO-Mitglieder kam später der Hinweis, dass es sich angeblich um deutlich mehr Knochenfunde gehandelt habe, als öffentlich zugestanden worden sei. Aber diese Hinweise sind nicht belastbar.

Insa Reese in der Grabungsstelle am Falkenhorst. Hinter ihr der Fettabscheider, dessen Einbringung in den Boden die ersten Knochenfunde ans Licht brachte und die archäologische Untersuchung veranlasste. Bilder: Wagner

Die vor wenigen Tagen bekannt gewordene Nachricht von Knochenfunden hörte sich zunächst spektakulär an, doch bei näherem Hinsehen relativierte sich der Befund. Grabungstechnikerin Insa Reese fand insgesamt Überreste von 12 bis 19 Individuen. Es hätten, so sagt sie, bei der Größe der Grabungsfläche durchaus 40 bis 50 sein können. Reguläre Bestattungen habe sie fünf gefunden. Dazu kämen eventuell noch vier weitere. Alles andere seien versprengte Knochenfunde und ein sogenanntes Knochenlager gewesen. „Solche Lager sind wohl nach Bauarbeiten angelegt worden, um Knochenfunde an Ort und Stelle wieder zu bestatten.“ Unter den Schädelfunden waren einige von Kleinkindern. Ein Schädel sei so dünn und zart gewesen, dass sie ihn mitsamt der umliegenden Erde aus dem Untergrund herausgenommen habe, um seine völlig Zerstörung zu verhindern, erläutert Insa Reese gegenüber „Kultur in Emden“.

Der Fundort der menschlichen Überreste ist der erste Zwinger rechts vom einstigen Neuen Tor. Dieser Zwinger wurde – wie der ganze Wall – im Zuge militärischer Sicherungsmaßnahmen der Stadt Emden in den Jahren 1606 bis 1616 gebaut. 1621 wird er „Dwenger achter Grauerts Hof“ genannt, denn dieser Hof, so schreibt Heinrich Siebern in „Die Kunstdenkmale der Stadt Emden“, erstreckte sich vom Bentinksweg bis zum Wall. 1653 bürgert sich die Bezeichnung Osterhuser Dwenger ein, weil hier ein von Osterhusen kommender Weg endete. 1672 wird er in Vogelsangzwinger umbenannt, offenbar weil hier besonders viele Singvögel auftraten. 1768 heißt er dann auch Kornnütjes Dwenger. Kornütjes sind Hänflinge. Gleichzeitig, also ebenfalls 1768, erscheint die Bezeichnung Dodendwenger, da auf diesem Zwinger ein Armenfriedhof angelegt wurde.

Die menschlichen Knochen werden vorsichtig aus dem Grund gelöst und zunächst in Beutel verpackt.

Es ist also wohl anzunehmen, dass Insa Reese auf Emder Arme des 18. Jahrhunderts gestoßen ist, die hier beerdigt wurden. Denn es handle sich offenbar um Einzelbestattungen und keine Massengräber. Für eine Fundstelle konnte die Grabungstechnikerin noch einen Sargrest bergen. Der hölzerne Boden des Sarges sowie ein eiserner Nagel waren noch erkennbar. Und da das Privileg, in Emden Särge herzustellen, zwischen 1561 bis 1870 beim Gasthaus lag, dürfte auch dieser Tote in einem solchen Sarg bestattet worden sein.

Ob es anthropologische Untersuchungen der nun gefundenen Knochen gibt, hängt von den Möglichkeiten der Finanzierung dieser Maßnahme ab. Vorerst werden die Überreste in Aurich getrocknet, um sie schonend vom anhaftenden Erdreich zu befreien. Denn allzu viel halten die Überreste nicht mehr aus – sie sind in dem Kleiboden, in den sie vor 200 bis 250 Jahren gebettet wurden, äußerst porös und spröde geworden.