Eine Frage der Ethik

Emden. Wurde das Wrack des Mehrzweckfrachters „Melanie Schulte“ im Nordatlantik wirklich gefunden? Und was soll man mit dieser Information nun anfangen? Diese Frage, ausgelöst durch einen Bericht auf der Online-Plattform der Ostfriesen-Zeitung vom 1. Juni, beschäftigte die Talkrunde „Edzard Wagenaar trifft …“ am Sonntag (4. Juni). Die Runde widmet sich in monatlichem Abstand dem Geschehen rund um den Untergang des Schiffes im Dezember 1952.

Sonaraufnahme mit einem Wrack. Handelt es sich wirklich um die „Melanie Schulte“?

Hintergrund des Gespräches waren ein Hinweis und eine Nachfrage. Der Hinweis kam von der Pressesprecherin der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DgzRS), Antke Reemts, anlässlich eines Besuchs der Ausstellung „Melanie Schulte“ – Schiff, Unglück, Mythos“. Es sei durchaus denkbar, dass das Schiff noch eine Weile führerlos durch die See geschwommen sei, ehe es unterging. Die Vermutung über einen Sofort-Untergang entspringe eher der Phantasie der Menschen an Land als den Realitäten auf See.

Die Nachfrage stellte die OZ an. Redakteurin Mona Hansen wandte sich an den Sporttaucher und Amateur-Meeresachäologen Holger Buss aus Moormerland. Ob es möglich sei, das Wrack des Schiffes ausfindig zu machen?

Unter den 7000 Untergangsstellen im Nordatlantik ist die „Melanie Schulte“ mit einem Fragezeichen verzeichnet

Buss ist Mitglied der Gruppe „Gezeitentaucher“. Das Ausfindigmachen von Untergangsstellen ist Teil seiner selbstgewählten Arbeit. Buß, im Hauptberuf Ingenieur, machte sich daran, Wrack- und Seekarten zu sichten und weiter zu recherchieren. Fündig geworden sei er schließlich beim Hydrografischen Institut Southampton, berichtete er beim „Talk“. Dort befinden sich Karten, auf denen Wracksichtungen verzeichnet sind. Bereits 1998 wurde demnach per Sonar ein Wrack in mehr als 2500 Metern Tiefe etwa 50 Kilometer nordöstlich der letzten gesendeten Position der „Melanie Schulte“ festgestellt. Auf der Karte wurde der Name eingetragen und mit einem Fragezeichen versehen.

Was würde Buß jetzt mit dieser Information anfangen, wollte Edzard Wagenaar wissen? „Ich würde mit dem Fragezeichen anfangen“, bekannte der Taucher. Zunächst sei ein Ultraschall-Scan nötig, um weitere Basis-Daten zu erhalten. Dann könne man mittels Mini-U-Boot einen Tauchgang machen, um hochauflösende Aufnahmen zu bekommen. Anhand derer seien eine Identifizierung des Schiffes und die Feststellung der Ursache des Untergangs mit großer Wahrscheinlichkeit möglich. Kosten der Gesamtmaßnahme: nach vorsichtiger Schätzung 70 000 Euro.

Letzter Standort nach Funkmeldung und Fundstelle des Wracks

Es gehe in diesem Fall nicht darum, das Wrack zu bergen, sondern sich Gewissheit zu verschaffen, sagte Wagenaar, es handle sich um eine Frage der Ethik. „Es wäre ein Schlussakord unter eine 70 Jahre alte Geschichte.“ Zudem sehe er angesichts der großen Anteilnahme der Emder an dem Thema, das sich in rund 10 000 Ausstellungsbesuchern und 2000 Gästen im Theaterstück dokumentiere, auch ein öffentliches Interesse an einer intensiveren Untersuchung. Damit wäre dann zugleich der Mythos entzaubert, sagte Museumsdirektorin Jasmin Alley.

Antke Reemts, die während des Talks eindringlich über die vielen Unfälle auf See und das Wirken der DgzRS in diesem Zusamenhang berichtet hatte, stellte noch einen anderen, allgemeineren Zusammenhang her. Das Verhältnis zwischen Mensch und See sei ein ganz großes Thema der Menschheit. Zudem bringe jeder Aufschluss darüber, wie und warum ein Schiff verunglückt sei, immer auch neue Erkenntnisse über Maßnahmen zur Verhütung von Unfällen hervor.

Unfälle auf See und Seenotrettung: Antke Reemts und Holger Buss waren die Talkgäste bei „Edzard Wagenaar trifft …“