Emden – 6. September

Wer von jenem 6. September 1944 berichtet, der beginnt – es ist beinahe schon ein Automatismus – mit den Worten: „Es war an einem schönen Spätsommertag …..“

77 Jahre später scheint es wieder ein schöner Spätsommertag zu werden. Doch das Gedenken fällt immer schwerer, je weniger Menschen es gibt, die diesen Tag der Zerstörung des alten Emden wirklich bewusst erlebt haben.

Gleichwohl wurde in der Vergangenheit mit Blick auf den 6. September 1944 von einem Moment gesprochen, der sich ins kollektive Gedächtnis der Stadt eingebrannt hat. Und es war ja – gemessen an den Zeitläuften, die seither vergangen sind – tatsächlich nur ein Moment. 18 Minuten, in denen das alte Emden fiel. Von 18.24 Uhr bis 18.42 Uhr. 18 Minuten aber, die für die Menschen eine Welt veränderten.

Kriegszerstörung in Emden: hier in der Straße Am Vierkant nahe der Neuen Kirche.

Viele große Ereignisse wurden in Emden seither immer wieder auf einen 6. September gelegt: Einweihungen, Eröffnungen, besondere Momente – wie die Vorstellung des Glockenspiels auf dem Rathausturm, ein Ereignis von besonderer Durchschlagskraft. Es regnete übrigens in Strömen an diesem 6. September. Vielleicht blieb dieser Augenblick, als das Glockenspiel erstmals in Gang gesetzt wurde, gerade deshalb so hartnäckig im – kollektiven – Gedächtnis haften, so wie die Zerstörung der Stadt eben mit dem damals strahlenden Wetter im Zusammenhang steht. Immer noch!

Anlässlich des 50. Wiederkehr jenes fürchterlichen Tages hatte – wie so oft in gedankenreichem Kommentar – der damalige Chefredakteur der Emder Zeitung, Herbert Kolbe (1942 bis 2014), in ganz persönlicher Weise Stellung bezogen, und dabei auf einen zwangsläufigen Widerspruch verwiesen. Er schrieb am 6. September 1994: „Das Paradoxon besteht darin, dass die Auslöschung dieser Stadt – und vieler anderer Städte – den Anfang einer neuen Zeit bildete. Am Anfang des Neuen muss die Zerstörung des Alten stehen.“

Eben deshalb ist im Westwerk der Martin-Luther-Kirche das große Glasbild des Phönix zu sehen, der sich – neu geboren – aus der Asche erhebt. Das Motiv entstammt der Antike und wird – im christlichen Rahmen – als Bild der Auferstehung Christi gesehen. Doch der Glasbildner hat als Hintergrund der Szene die Stadt und ihr Rathaus in das große Rundfenster gefügt. Auch Städte erleben ihre Auferstehung.

Der Kommentar von Herbert Kolbe enthält einen weiteren Gedanken, der immer noch aktuell ist. Er schrieb über die Angriffe, die zur Vernichtung vieler deutscher Städte führten: „Nein, es waren keine „Terrorangriffe“, die so viele deutsche Städte auslöschten. Es waren die verzweifelten Versuche der zivilisierten Welt, sich eines barbarischen Despoten zu erwehren. Damals wusste man noch nicht, dass selbst solche Mittel nicht zwangsläufig zur Beendigung eines Krieges führen.“

Und damit sind wir, die wir seit mehr als 75 Jahren im Frieden leben, in der Gegenwart angekommen. Wissen wir wirklich noch zu schätzen, was aus jenem entsetzlichen Krieg und seinem ebenso furchtbaren Ende an Positivem entstanden ist? Frieden, Freiheit, Demokratie sind fragile Güter, deren Schutz uns alle angeht. Doch gilt noch das „Nie wieder“, das einst als das ultimative Versprechen für die Zukunft galt?