Über die Lust am Schreiben

Emden. Als Henri Nannen (geboren am 25. Dezember 1913) vor 25 Jahren, am 13. Oktober 1996, starb, war die Kunsthalle gerade zehn Jahre alt. Stürmisch waren die Jahre des Aufbaus gewesen. So stürmisch, wie in den Jahrzehnten zuvor die Entwicklung seines Magazins, des „Stern“.

Stürmisch ging es auch zu, wenn Nannen die Emder Zeitung besuchte. Das tat er öfter, und an der steigenden Lautstärke im Haus konnte man wahrnehmen, dass er sich wieder mal in einem lebhaften Gespräch mit dem damaligen EZ-Chefredakteur Herbert Kolbe befand. Die beiden taten sich, wenn es um Fragen des Journalismus ging, keinen Zwang an. Und um Journalismus ging es immer. Aber es war auch allen Redakteuren im Haus klar, dass es im Detail ganz heftige Differenzen geben musste. Denn manchmal wechselte das laute Reden in hemmungsloses Gebrüll. Aber der Diskurs machte beiden Spaß, auch wenn sie sich verbal nichts schenkten. Aber, wie gesagt, es ging um die Sache.

Als Henri Nannen starb, gab es gleich zwei Trauerfeiern, eine kleine in der Johannes a Lasco Bibliothek in Emden, die andere, sehr große, in der St. Michaelis-Kirche zu Hamburg. Deren Hauptpastor Helge Adolphsen zitierte damals einen oft gesagten Satz Nannens als dessen Lebensbilanz: „Ich habe keine Opfer gebracht, sondern mehr gewonnen als ich gegeben habe.“

Der damalige Vorstandsvorsitzende von Gruner und Jahr, Gerd Schulte-Hillen, beklagte: „Ein Großer ist gegangen.“ Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt versicherte: „Über Henri Nannen darf man angesichts seines Todes getrost große Worte machen“. Und er zitierte einen anderen Bundeskanzler, nämlich den 1992 verstorbenen Willy Brandt, der anlässlich des 75. Geburtstages Nannens geschrieben hatte: „Journalismus kann abdanken, wenn er harmlos wird.“

Brandt hatte in seinem Brief aber auch auf die politische Bedeutung des Journalismus á la Nannen abgehoben. „Doch behält für mich besonderes Gewicht, dass Sie geholfen haben, die deutsche Außenpolitik ehrlich zu machen.“ Und schon stiegen Bilder auf, wie jenes legendäre Foto von 1973, als Nannen auf dem Schreibtisch des russischen Generalsekretärs Leonid Breschnew sitzt und aus dem vereinbarten 15 Minuten-Gespräch satte zweieinhalb Stunden werden.

Der „Stern“ widmete seinem ehemaligen Chefredakteur 1996 eine dicke Beilage, in der einige Weggefährten zu Wort kamen, in der aber auch ein Schüler der Henri-Nannen-Schule sich äußern durfte. Jan Christoph Wiechmann, heute Stern-Reporter in New York, berichtete damals von einer direkten Begegnung mit Nannen, und die ist so bezeichnend, dass hier noch einmal daran erinnert werden soll.

Wiechmann besuchte Nannen in seinem Haus in Emden, sah sich im Raum um und fragte, welches Buch Nannen gerade lese. „Was ist das für eine blöde Frage“, schnauzte Nannen los. „Sie wollen doch etwas ganz anderes wissen. Journalisten müssen neugierig sein, verdammt noch mal. Sie müssen alles bis ins letzte Detail wissen wollen. Das ist doch eine Lust.“ Und er sprach über Kunst, das Sammeln und den Holzzaun an der Kunsthalle, den er tags zuvor noch gestrichen hatte. Aber schließlich gestand er dem jungen Mann: „Das Konzept meines Lebens ist, dass ich keins habe. Es ist Lust. Lust am Schreiben …. Man muss tun, was aus dem Bauch kommt.“

Es gibt keine bessere Definition für leidenschaftlichen Journalismus. Auch nicht 25 Jahre nach dem Tod des Journalisten Henri Nannen.