Das zwingende Moment

Emden. Chor-Probe in Corona-Zeiten – das ist eine einschränkende Sache, sagt Jörg-Volker Kahle vom Vorstand des Singvereins. Der Verein steuert zielstrebig auf sein Jahreskonzert zu. Am 30. Dezember. Unter Einschränkungen. So ist das eben, wenn eine Pandemie herrscht.

Die riesige Martin-Luther-Kirche darf nur mit 250 Menschen belegt werden – inklusive Chor, Solisten, Instrumentalisten. Wie viele Plätze bleiben da noch für das Publikum? „Schätzungsweise 190“, sagt Kahle. Im Grunde sind die Karten schon alle verkauft. Und das Herz des Singvereins weint. Denn die Anfragen sind deutlich höher als das zur Verfügung stehende Kartenkontingent.

Die Geburt Christi – hier im Moment der Anbetung der Hirten dargestellt.

Zu schade sei das, befindet auch Kahle. 600 Besucher sind das Minimum, wenn der Singverein auftritt. Das ist in diesem Jahr nicht zu schaffen. Einen Raum, der das zuließe und zugleich geeignet ist für Oratoriengesang? Wo sollte man den in Emden finden? Die Nordseehalle? „Nee“, sagt Kahle, man hänge schon an der Luther-Kirche, wo der Verein sich zu Hause fühle.Von Proben, die normalerweise in der Aula der Emder IGS, im einstigen Gymnasium am Treckfahrtstief, stattfinden, musste man absehen – die Lüftungsmöglichkeiten sind dort unzulänglich. Die „Gröne Stee“, das reformierte Gemeindehaus in Conrebbersweg, nahm die Platzsuchenden auf. Hier versucht Clemens-C. Löschmann, jene Mitglieder zum Singen zu vereinen, die sich noch raustrauen. Denn die Hemmschwelle ist groß geworden in diesen Zeiten. Viele bewährte Sänger haben sich zurückgezogen. Nicht nur wegen Corona, aber auch.

Die anderen haben ein Jahr lang über Zoom miteinander kommuniziert, gemeinsames Singen war ja nicht möglich. Also hat jeder allein vor sich gearbeitet – geleitet durch ein paar wenige Sänger, die tatsächlich und unter erhöhten Sicherheitsvorkehrungen – vor Ort waren und mit Löschmann probten. „Löschmann ist technisch versiert und vor allem willens, das Konzert durchzuführen“, erklärt Kahle den Drang aufzutreten.

Der Chorleiter ist selber Sänger. Tenor. Das auf dem Programm stehende „Weihnachtsoratorium“ von Johann Sebastian Bach hat er vielfach gesungen. Jetzt will er mit seinem Singverein eigene Vorstellungen umsetzen. Eigentlich sollte das Konzert schon 2020 stattfinden. Nun will man bei einem neuerlichen Versuch den Durchbruch wagen – notfalls auch ohne Publikum, wenn sich die Situation weiter verschlechtert. Vorerst jedoch plant man mit G2plus-Bedingungen und FFP2-Maske während der gesamten Veranstaltung.

Blick in die Partitur Bachs mit seiner schnellen Art der Notierung

Löschmann hat seine eigenen Vorstellungen vom „Weihnachtsoratorium“. So ist ihm zum Beispiel der Text sehr wichtig. Den hat er durch gemeinsames Sprechen eindringlich erarbeitet. „Er hat das Ganze dabei theologisch durchdrungen“, sagt Kahle voller Respekt. Doch ist Löschmann dadurch nicht konservativ ausgerichtet. Frischen Wind bringen die Westfälischen Saxophoniker, die sowohl das Oratorium wie auch eine vorgeschaltete Kantate BWV 140 „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ begleiten werden – statt eines Orchesters. Daher trägt das Programm auch den Titel „Weihnachtsoratorium mit Jazz-Resonanzen“.

Der Schöpfer: Johann Sebastian Bach

Und natürlich hat Löschmann strategische Ideen entwickelt, wie man denn den ersten Teil des Werkes am wirkungsvollsten präsentieren könne. Seine Lösung ist spannungsvoll, wenn er den ersten drei Teilen des Weihnachtsoratoriums auch einzelne Choräle der weiteren drei Teile hinzufügt – zum Beispiel den Choral Nr. 59 „Ich steh an Deiner Krippen hier“ oder den Schlusschoral „Nun seid ihr wohl gerochen“, beide aus dem Teil VI des Oratoriums. Zudem werden auch die Saxophoniker noch in „verknüpfender Weise“ ein Vorspiel gestalten. Das allerdings soll ein Überraschungsmoment bleiben.

Warum aber Saxophonisten? „Das Saxophon hat etwas Zwingendes. Und dieses Moment wohnt auch der Musik Bachs inne. Wir finden, das passt!“ versichert Mitsänger Jörg-Volker Kahle.

Für den Chor sei es wichtig gewesen, das Konzert überhaupt durchführen zu können. Nach den langen, durchaus intensiven Proben vor dem Bildschirm und den ebenso herausfordernden Einschränkungen bei den Präsenz-Proben müsse sich der „Knoten“ jetzt einfach lösen und das Konzert über die Bühne gehen.

► Derzeit wird noch daran gearbeitet, das Konzert (Donnerstag, 30. Dezember, 17 Uhr, Martin-Luther-Kirche) womöglich auch per Streaming anzubieten.