Ein Stück Emder Vergangenheit

Von Dr. Klaas-Dieter Voß

Emden. Das mit Abstand älteste Stück im Inventarverzeichnis der reformierten Gemeinde Emdens ist eine etwas unscheinbar wirkende Messingschüssel, die im Spiegel Adam und Eva am Baum der Erkenntnis bzw. den Sündenfall mit einer nicht mehr lesbaren gotischen Umschrift zeigt. Es handelt sich um eine sogenannte Beckenschlägerschüssel, die um das Jahr 1500 entstanden ist. Hunderttausende wurden davon einst hergestellt und in ganz Europa vertrieben. Auch heute noch gibt es eine Vielzahl und nicht selten werden diese Schüsseln in Auktionen angeboten und für 600 bis 2500 Euro verkauft.

Das Becken der reformierten Emder Gemeinde stammt aus vorreformatorischer Zeit, wurde in Nürnberg gefertigt und weist das Motiv des Sündenfalls auf. Bilder: Udo Bleeker

Insofern scheint die Messingschüssel zunächst erst einmal keinen außergewöhnlich großen monetären Wert darzustellen. Sie hat aber einen hohen ideellen Wert, da sie jahrhundertelang in der Emder Gemeinde gebraucht wurde und somit ein Stück der Emder Vergangenheit vergegenwärtigt. Ursprünglich stammt sie nicht von hier. Das Motiv im Inneren der Schüssel verweist auf den eigentlichen Herkunftsort, denn nur in Nürnberg konnten solche Motive mit sogenannten Gesenken gearbeitet werden. Dabei handelt es sich um ein spezielles Umformwerkzeug, mit dessen Hilfe Motive in das zu bearbeitende Material getrieben wurden.

Vermutlich gelangte die Schüssel schon in vorreformatorischer Zeit nach Emden. Doch wozu diente sie? Der Einsatz solcher Schüsseln war sehr vielseitig. Sie wurden als Waschschüsseln verwendet, aber auch als Blutschalen beim Aderlass. Einige weisen Ösen auf, die darauf hindeuten, dass sie als Wandschmuck eingesetzt wurden oder als Blaker, um den Schein einer davorstehenden Kerze zu reflektieren. Ein bleibender Glanz war dabei nur durch das regelmäßige Putzen zu erreichen. Kein Wunder, dass die Emder Schüssel im Laufe der Jahrhunderte im Bereich des Bodens so stark abgerieben wurde, dass irgendwann Löcher in das inzwischen hauchdünn gewordene Messingblech fielen und die Schriftzüge heute kaum noch zu erkennen sind.

Die Seitenansicht des Beckens, nachdem die ehrenamtliche Mitarbeiterin der Johannes a Lasco Bibliothek, Elske Visser, es geputzt und auf Hochglanz gebracht hat.

Mit Hilfe von Blei wurden die entstandenen Löcher dann verschlossen und der Boden insgesamt wieder etwas stabilisiert. Im kirchlichen Bereich setzte man Beckenschlägerschüsseln als Taufbecken ein, und das scheint auch der allererste Verwendungszweck der Emder Schüssel gewesen zu sein. Anhaltspunkt dafür ist nicht zuletzt die Darstellung des Sündenfalls, die sich immer wieder im Spätmittelalter und in der Zeit danach an und in Taufbecken findet. Die Darstellung korrespondiert mit der Vorstellung, durch die Taufe mit Christus zu sterben und aufzuerstehen, den alten Menschen zu begraben und mit ihm die Sünde (Röm 7, 25), die nach alttestamentlicher Vorstellung durch den Sündenfall in die Welt kam.

Die Emder Schale weist heute in ihrer Mitte eine quadratische Auslassung auf, und das hat mit ihrer Verwendung in den späteren Jahrhunderten zu tun. Im Archiv der Johannes a Lasco Bibliothek findet sich eine Aktennotiz des ehrenamtlichen Archivpflegers Carl van Dieken aus dem Jahre 1977, die den Sachverhalt klärt. Nach dem Zweiten Weltkrieg sei der Friedhofsgärtner und frühere Küster der Großen Kirche, Klaas Alberts, gefragt worden, was es mit dieser Auslassung auf sich habe. Dieser habe dann erläutert, dass er bis zur Zerstörung der Großen Kirche genau dieses Becken und eine Messingschale jeweils an einem Kopfende des Abendmahlstisches aufgestellt habe. Zu diesem Zweck habe es zwei dreibeinige Schemel gegeben, die in der Mitte ihrer Auflagefläche einen Dorn hatten, um damit ein Verrutschen der darauf platzierten Schalen zu verhindern. In den aufgestellten Behältnissen sei dann die Kollekte der Abendmahlsteilnehmer eingesammelt worden.

Das Becken vor der Putzaktion. Im Mittelpunkt ist das Loch zu sehen, mit dem das Becken auf einem Schemel befestigt wurde, um als Kollektenschale zu dienen.

Diese Praxis beruhte auf einer langen Tradition, die mit der Gründung einer Becken-Diakonie für die Abendmahlsgemeinde, die auch als „Beckengemeinde“ bezeichnet wurde, im Jahre 1565 ihren Anfang nahm. Beschrieben wird das Procedere bereits 1594 im „Korte Bekendtenisse der Christlicken Lehre /so in der Gemeine Gades tho Embden / vth synem Worde gelouet/ gelehret vnd geprediget werdt“ von Menso Alting (1541 bis 1612), wo es heißt: „Vnde is by dem Dissche ein Becken gestellet / darinne de Communicanten ehre Allmissen leggen.“ (Und ist auf den Tisch ein Becken gestellt, wohinein die Kommunikanten ihre Almosen legen).

Dass das Becken zumindest 1611 auf einem Schemel stand, geht aus einem Dokument des Emder Kirchenarchivs hervor, das die Übergabe von Gegenständen dokumentiert, die damals von den Küstern der Großen Kirche verwahrt wurden: Am 8. Mai 1611 übergab Alheit de Kostersche ihrem Amtsnachfolger Cornelis Hindricks u.a. folgende Gegenstände:

2. Becken twee ein messinges und ein tennen (Becken, zwei, eines aus Messing und eines aus Zinn)
10. Ein Schebel dar man dat becken up settet (ein Schemel, worauf man das Becken platziert)

Ein Bild aus dem Jahre 1895, das von dem damaligen Emder Pastor Hermann A. Hesse (1815 bis 1904) und dem Diakonie-Kollegium gemacht wurde, zeigt die Beckenschlägerschüssel, die aufgrund der Darstellung in ihrem Inneren am linken Tischbein angelehnt wurde.

In anderen reformierten Gemeinden, wie z.B. in Jemgum oder auch im niederländischen Winschoten, wurden solche Taufbecken auch bei Beerdigungen eingesetzt, um Kollekten einzusammeln. In den dortigen Kirchenrechnungsbüchern, in denen die Einnahmen und Ausgaben der Kirchengemeinde verzeichnet wurden, kommen im 17. und 18. Jahrhundert nämlich immer wieder Einnahmen vor, die „uit de Becken“ oder „in `t Becken“ empfangen wurden. Wenn Beerdigungsregister fehlen oder Lücken in den Aufzeichnungen der Kirchengemeinde bestehen, was nicht selten vorkommt, werden darum Kirchenrechnungsbücher auch zu wichtigen Quellen der Personenforschung, da Verstorbene in Zusammenhang mit dem sogenannten Beckengeld Erwähnung finden.

In der Aktennotiz aus den 70er Jahren heißt es übrigens weiter, dass Klaas Alberts über die ursprüngliche Verwendung verständlicherweise keine Auskunft habe geben können. Er habe sich aber daran erinnert, dass der frühere Emder Pastor, Professor Jan Remmers Weerda (1906 bis 1963), einmal die Vermutung geäußert habe, dass die Schale in vorreformatorischer Zeit als Weihwasserbecken genutzt worden sei. Zumindest zeitlich dürfte er damit die Beckenschlägerschüssel gut eingeordnet zu haben.

Das Diakonie-Kollegium der Huissittenden Armen im Jahre 1895: Auf dem Tisch stehen die beiden großen korbartigen Messingsammelbüchsen der Emder Gemeinde aus dem 16./17. Jahrhundert zusammen mit einer kleineren und schlichteren Messingschale. Unten links ist die Beckenschlägerschüssel zu sehen. Bild und Angaben zu den abgebildeten Personen stammen von Johannes S. Barghoorn (1927 bis 2020).

Die Personen auf dem obigen Foto konnten alle identifiziert werden: stehend (v.l.n.r.): Kaufmann Edzard Tapper (Neutorstraße 6), Kaufmann Gerrit Wiard Scherz (Boltentorstraße 59), Bäckermeister Freerk H. Petersen (Große Straße 49), Färbermeister Nikolaus Everhardus Barghoorn (Boltentorstraße 48/9), Bäckermeister Heiko de Vries (Kleine Brückstraße 47), Bäckermeister Heiko Albertus Brügman (Neuer Markt 39, Brügman war später auch Organist in der Großen Kirche), Bäckermeister Peter S. Meyer (Wilhelm-Straße 76), Zimmermeister Melle Hollander (Große Burgstraße 4). Sitzend (v.l.n.r.): Buchbindermeister Philipp Bakker (Zwischen beiden Sielen 26), Prokurist Johann Elbrechts (Lilienstraße 14), Kaufmann Peter Geelvink (Hofstraße 14), Pastor Hermann A. Hesse (Steinstraße 4), Müller Hinderk A. Foget (Mühlenstraße 3), Kapitän Hilko Eekhoff (Neuer Markt 19) und Lehrer Ontje Hilders (Bentinksweg 23).

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Der Autor wurde im Rheiderland geboren, besuchte das Gymnasium in Leer und studierte Theologie in Wuppertal, Hamburg und Göttingen. Seit April 2000 ist Dr. Klaas-Dieter Voß wissenschaftlicher Mitarbeiter der Johannes a Lasco Bibliothek. 2016/17 promovierte er an der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg über das Emder Religionsgespräch von 1578.
Seine Forschungsfelder an der Bibliothek sind: die Kirchengeschichte Ostfrieslands, die Konfessionsgeschichte der Frühen Neuzeit, das Täufertum, der Emder Buchdruck, die Landesgeschichte Ostfrieslands, Genealogie & Heraldik
Klaas-Dieter Voß ist Syndikus der Gerhard ten Doornkaat Koolman-Stiftung, Norden, und Lehrbeauftragter am Institut für Evangelische Theologie und Religionspädagogik der Carl von Ossietzky Universität in Oldenburg.

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