Ein sprachliches Kunstwerk für sich

Emden. Gerhard Henschel gestaltete einen Abend der Gesellschaft der Freunde der Johannes a Lasco Bibliothek über Literaturkritik. Das Motto: „Richter oder Henker? Autoren und die Literaturkritik“. Der freie Schriftsteller, der in der Lüneburger Heide lebt, hat einen hocheleganten Stil, der Sachverhalte, Namen, Gespräche, Erinnerungen, Zitate, Romanauszüge so dicht miteinander verknüpft, dass das Ganze ein sprachliches Kunstwerk für sich ist. Man muss dabei gewesen sein. Genuss muss man live erleben.

Drei für die Literatur: Klaus Frerichs, Gerhard Henschel und Harald Groenewold.

„Richter oder Henker. Autoren und die Literaturkritik“ war die Lesung betitelt. Der Vorsitzende der Gesellschaft, Harald Groenewold, vereinfachte dies in seinem launigen Statement zur Begrüßung in „Dichter beschimpfen Dichter“. Henschel setzte quasi nahtlos an – und das mit offensichtlicher Süffisanz, aber auch mit spürbarer Lust am Gegenstand.

Wenn Dichter, Schriftsteller, Autoren oder Literaturkritiker verbal aufeinander losgehen, dann entstehen Wortgewitter, die vor Bosheit triefen, vor Gemeinheiten keinen Halt machen und sich oft genug in bis zur Unverständlichkeit verquasten Satz-Ungetümen verwickeln. Denn, und hier zitierte Henschel den Österreicher Karl Kraus, „Kritik ist, wenn man eine Wut auf jemanden hat.“

Dieser Satz wurde geradezu zum Leitmotto eines Abends, der sich allerdings keineswegs vollständig in Giftspritzereien erging, sondern auch Ergötzliches bot und dabei auch mal unter die Gürtellinie rutschte, was aber der guten Laune im Publikum eher zustatten kam. Er, Henschel, sei von der Literaturkritik eher gut behandelt worden, gestand der Schriftsteller, allerdings auch nicht immer. Er las einige dieser kritischen Beurteilungen, die aber von einer solchen Art waren, dass Henschel mutmaßte, da habe sich einer zum Kritiker aufgeschwungen, ohne das betreffende Opus überhaupt gelesen zu haben.

Henschel selber hat auch Kritiken geschrieben, und einmal wollte er dem freundlichen Johannes Mario Simmel etwas Gutes tun und dessen Roman „Träum den unmöglichen Traum“ für die FAZ rezensieren. „Aber das ging nicht. Er war zu schlecht, eine Folge von Belanglosigkeiten.“ Jahre später entdeckte er eine wilde Polemik gegen diese Kritik in der von einem Ghostwriter verfassten Autobiographie Harald Juhnkes.

Henschel, geübt in der Satire, verfasste für die TAZ auch „ausgedachte Geschichten“, die dem Lügenbaron Münchhausen durchaus Konkurrenz machen. So erfand er den ersten deutschen Nacktförster – und ahnte nicht, was da kommen sollte. Denn private Fernsehsender liefen Sturm und wollten Interviews mit dem Mann, der aus der Fiktion geboren war. Mit Pläsier verfolgte das reichlich erschienene Publikum den Worten Gerhard Henschels und amüsierte sich prächtig über die völlig überzogene Geschichte, die doch so viele Menschen für real hielten.

Eigens für die Lesung hatte die Bücherstube am Rathaus einen Büchertisch zusammengestellt. Gabriele Frerichs schenkte Wein aus, und so war die „Vor-Corona-Stimmung“ der geselligen Bücherrunde wieder hergestellt – eingebettet in die Lesung von Gerhard Henschel, die es – im wahrsten Sinne des Wortes – „in sich hatte“.