„Ich wollte auf keinen Fall nach Ostfriesland!“

Die langjährige Pastorin von Groothusen und Visquard, Heike Schmid, verabschiedet sich in den Ruhestand

Visquard. In diesen letzten Tagen zittert ihre Stimme ab und an einmal, weil sie viele Aufgaben ihres Amtes zum letzten Mal erledigt. „Da muss ich manchmal tüchtig schlucken“, sagt Heike Schmid in schöner Offenheit. Denn so sehr die reformierte Theologin sich auf ihren Ruhestand freut, so sind ihr die Menschen, die sie nun verlassen wird, innigst ans Herz gewachsen. Da ist es kein Wunder, wenn Wehmut sie beschleicht.

Fünf Kinder hat sie in diesen Tagen noch getauft, weil die Eltern sie baten: „Bevör du geihst, musst du noch mien Kind döpen.“ Die Nähe zu den Ostfriesen hat die gebürtige Nordhornerin sich erarbeitet und sie gepflegt. Das „Du“ ist Zeichen dieser engen Verbindung, die so manchen schweren und schönen Moment des Amtes begleitete. Und selbst am Tag ihrer Verabschiedung, dem 28. Mai, wird Heike Schmid noch morgens ein Paar trauen und eine letzte Taufe vollziehen. Am Nachmittag ab 14.30 Uhr gibt es dann die große Verabschiedung – auf dem Dorfplatz von Visquard, weil die beiden Kirchen ihres Pfarrbereiches nicht genug Platz bieten. Es wird voll werden, das ist gewiss, denn Heike und ihr Mann, der langjährige Pastor der Mennoniten Jan Lüken Schmid sind bekannt und beliebt.

Verlassen das Pfarrhaus in Visquard: Heike Schmid und Jan Lüken Schmid mit Hauskatze „Hermine“

Das neue Heim des Pastoren-Ehepaares und ihrer dreibeinigen Katze „Hermine“ wird nicht in Ostfriesland liegen, sondern in Schleswig-Holstein. Sie werden sich räumlich verkleinern – massiv. Denn das Pastorenhaus von Visquard ist riesig. Ob und wie es belegt wird, ist noch nicht klar, aber die Stelle ist ausgeschrieben. Allerdings wird, wer auch immer die Nachfolge antritt, künftig insgesamt vier Gemeinden betreuen müssen.

Die Berufsgeschichte des Ehepaares beginnt in Wuppertal, wo sie sich kennenlernten. Er – Ostfriese, sie – Grafschafterin. Wo geht man hin, wenn man eine Stelle sucht. „Ich wollte auf keinen Fall nach Ostfriesland“, beteuert Heike Schmid. „Das hat dann auch prima geklappt.“ In einer Zeit, als es zu viele Pastoren gab und es nicht ungewöhnlich war, wenn sich auf eine Stelle bis zu 80 Theologen bewarben, können die beiden sich glücklich schätzen, überhaupt unterzukommen. Und wo landen sie? In Ostfriesland, in Rysum und Campen. Heike Schmid erhält die Pfarrstelle, ihr Mann beendet seine Ausbildung bei Pastor Walter Schulz in Canum und Woltzeten.

Als sie ankommen, ist das Dorf Rysum noch nicht saniert, ebensowenig die Kirche. Es ist neblig und das schlimmste für Heike Schmid – als sie auf den Deich klettert, ist dahin nicht das erhoffte Wasser. Doch sie gewöhnt sich ein. Die Kinder kommen zur Welt. Und im Rückblick ist für sie klar: „Rysum und Campen – das war meine ganz große Liebe!“ Warum sie dennoch wegging? Das Pastoren-Ehepaar hatte sich für eine Teilung der Stelle entschieden – der Familiengründung wegen.

Fünf Jahre ging das gut, dann entschied die Landeskirche anders. Familie Schmid bekam eine neue Pfarrstelle in Wuppertal-Ronsdorf und wechselte damit zur Rheinischen Landeskirche, wo eine Stellenteilung kein Problem bedeutete.

Ende der 90er Jahre, man lebt sich gerade ein, erreicht die beiden ein Anruf aus Groothusen. Die Pfarrstelle sei frei geworden. „Wir wollen euch!“ Ehepaar Schmid überlegt sich das Angebot. Sie wollen zurück nach Ostfriesland, aber an der Situation mit der Stellenteilung hat sich nichts geändert. Sie sagen ab, gefangen zwischen Vernunft und Gefühl. „Danach ging es uns ganz schlecht.“

Das Angebot hallt nach in den Köpfen. Was tun? Sie entschließen sich zu einem letzten Umzug – zurück nach Ostfriesland. Das Vorstellungsgespräch beim Kirchenvorstand verläuft unerwartet in völliger Ruhe und Stille. „Wollen Sie nicht noch etwas über uns wissen?“ „Wi weten doch, well se sünd!“ Damit ist alles gesagt und Heike Schmid ist Pastorin von Groothusen und Visquard mit Wohnsitz in der „Insel im Binnenland“.

„Wir lieben dieses Haus und den großen Garten“, seufzt Heike Schmid, die gefühlsmäßig zwischen Visquard und ihrem neuen Wohnort Flensburg schwankt. Ihr Mann, seit einem Jahr im Ruhestand, hat sie beruhigt: „Es wird alles gut werden.“ Noch wissen sie nicht, welcher Gemeinde sie sich in Flensburg anschließen werden. Dass dort die lutherische Konfession vorherrscht, bedeutet kein Problem. Und Jan Lüken Schmid hat auch noch ein Ehrenamt als Vorsitzender der 14 norddeutschen Mennonitengemeinden. „Mennoniten-Papst“ nennt ihn seine Frau und lacht.

Heike Schmid hat als Pastorin das sozialdiakonische Leben ihrer Gemeinden stark geprägt. 2009 gründet sie die „Arche“ – als Reaktion auf den immer weiter zurückgehenden Besuch des Kindergottesdienstes. Anfängliche Widerstände entkräften sich selber, als das Konzept, mehr für Kinder und Jugendliche zu tun, greift: Hausaufgaben-Hilfe, Ausflüge, sinnvolle Freizeitgestaltung. Das schöne dabei: die Arche funktioniert seit 13 Jahren durch die Beteiligung von Freiwilligen und Eltern.

Und auch die Gottesdienste mit ständig sinkenden Besucherzahlen überließ Heike Schmid nicht sich selber. Statt zwei Predigt-Gottesdiensten am Sonntag entschied man sich für einen, der wöchentlich zwischen Groothusen und Visquard wechselt. Anschließend gibt es Gespräche beim Kaffee. Ein Erfolgsmodell.

Die Pastorin hat aber auch das Scheitern erlebt, als sie einen Tagesaufenthalt mit Mehrzwecknutzung in Visquard bauen wollte. Corona brachte die bereits stehende Gesamtfinanzierung ins Wanken. Dabei war die Pandemie nicht grundsätzlich hinderlich, sagt Heike Schmid. „Wir haben jeden Tage Neues erfunden.“

Neues erfinden, Ideen entwickeln – das ist die Leidenschaft der reformierten Theologin. Und sie befürchtet, dass sie diese Möglichkeiten, sich mit Herz und Hand verantwortlich zu engagieren, vermissen wird. Und natürlich die Menschen, vor allem die vielen Power-Frauen, die sie erlebt hat. Einmal besuchte sie ein Gemeindemitglied, wurde in die gute Stube geführt und auf einem schönen Sofa platziert. Diese Garnitur habe sie sich durch Krabbenpulen erarbeitet, erklärte die Frau ihr – mit einigem Stolz in der Stimme.

Frauen wie diese, die oft genug von einer Mini-Rente leben müssen, die sich durchs Leben boxen, die aber nie klagen würden, mag Heike Schmid besonders und bekennt, dass sie viele solcher Lebensgeschichten kennengelernt hat – in 22 Jahren als Gemeindepastorin von Groothusen und Visquard, Jahre, in denen sie geleitet wurde von der zentralen Idee, nicht etwas „für“ andere zu tun, sondern „mit“ Ihnen.