Das Bekannte immer neu erfahrbar machen

Das 11. Konzert des Musikalischen Sommers in Ostfriesland fand in Bagband statt

Bagband. Geht das? Haydn-Sonaten und Improvisationen sowie Kompositionen im Jazz-Stil innerhalb eines Konzertes? Das funktioniert tatsächlich, aber wohl nur, wenn ein derart versierter Musiker wie Markus Becker spielt. Der Pianist versetzte die Besucher in der Bagbander Kirche geradezu in Verzückung – und geriet selber derart in Fahrt, dass er völlig die Zeit vergaß.

Fühlte sich in Bagband sehr wohl: Pianist Markus Becker. Bild: Karsten Gleich

Schon den Auftakt gestaltete Becker, der auch selber moderierte, mit einer Eigenkomposition, ehe er mit der Haydn-Sonate Nr. 34 in e-Moll begann. Die unmittelbare Gegenüberstellung der beiden Formate zeigte, dass die Qualität des Spiels und die Qualität der Jazzkompositionen keinen Gegensatz bildeten, sich vielmehr tatsächlich gegenseitig bedingten. Die Begründung dafür gab Becker selber: „Haydn liegt mir am Herzen, weil er so komponierte als würde er improvisieren.“ Der russische Pianist Yevgeny Sudbin formuliert das mit Bezug auf den ersten Sonatensatz so: „Der Satz ist eine Sammlung musikalischer Fragmente, die scheinbar nie in Schwung kommen, und jedes Mal, wenn sie es versuchen, fügt Haydn einen Punkt ein, und die Musik kommt plötzlich zum Stillstand.“

Hier also fand Becker seinen Ansatz für das Programm – nicht Klassik gegen Jazz, sondern das Wesen der Improvisation ist das bindende Glied. Der Pianist führte das in der Folge systematisch vor, wobei seine eigenen Kompositionen immer stärker wurden – mag auch sein, dass das nur so erschien, weil man sich immer besser in das Konzept einhörte und die improvisierenden Momente sich immer stärker verschränkten, so dass es bald unwichtig war, ob Haydn erklang oder Becker.

Markus Becker versteht sich als klassischer Pianist, doch seine Neigung zum Jazz – befördert durch ein musikalisch offenes Zuhause – hat ihn dazu gebracht, seine Kompositionen auf einer eigenen CD zu veröffentlichen. Womöglich hat das auch sein Verhältnis zum Publikum vereinfacht. In der Pause verschwindet er nämlich nicht in der Künstlergarderobe, sondern parliert mit den Hörern, und als diese auch bei der Rückkehr in den Kirchsaal sich weiter unterhalten, kommt er nahezu unbemerkt wieder auf seinen Platz am Piano, und schon geht der Abend in die nächste Runde.

Und weil Becker selber Spaß an dem Konzert hat und den Konzertort offenbar wirklich gut findet – er sei „entzückt von der Gestaltung der Kirche“, hatte er eingangs angemerkt – geht der offizielle Teil nahtlos in die Zugaben über. Und die haben es wirklich in sich. „Meine Version der Appassionata von Beethoven“ steht auf dem Programm. Ein ganz starkes Stück Musik, wunderbar durchsetzt mit dem originalen Notenmaterial, perfekt gespielt, großartig! Danach gibt es noch ein ruhiges, bedachtsames Stück aus der Komponisten-Werkstatt von Markus Becker zum Abschluss, weich und elegisch. Was sagt Becker selber zum Komponieren? Diese Erfahrungen „schärfen das Bewusstsein dafür, dass das Bekannte immer neu erfahrbar gemacht werden muss.“ Wie wahr!