Bürger ergreifen im Denkmalschutz die Initiative

Große Tagung bei der Ostfriesischen Landschaft zur Gründung einer AG Baukultur

Aurich. Es war der ehemalige Landesdenkmalpfleger Diplom-Ingenieur Hermann Schiefer, der am eindringlichsten appellierte, dass Ostfriesland mehr für seine Denkmäler tun müsse. Die Liste an „Sünden“, die in seinem Vortrag aufgeführt wurden, war beeindruckend. Es gibt deutschlandweit, so legte Schiefer dar, in Ostfriesland die meisten Mühlen, nämlich 75 intakte und 15 Stümpfe -, aber den privat geführten Mühlen gehe es schlecht. Für die zahllosen historischen Schiffe sei keine Institution vorhanden, die sich zentral um sie kümmere. Der Verlust an Gulfhäusern sei mittlerweile „dramatisch“. Damit verliere Ostfriesland zur Zeit seinen landschaftsprägenden Charakter. In Hinte sei die Neubebauung des Kirchgangs derart groß geplant, dass der Verein Anno sich genötigt gesehen habe, einen eigenen Bebauungsplan mit kleinen Einheiten vorzulegen.

Landschaftspräsident Rico Mecklenburg begrüßte die Tagungsgäste. Bilder: Reinhard Former

Doch damit nicht genug: Die Emder Wallanlagen würden nach wie vor unterbewertet. Der Abriss des Neptunhauses 2008, eines der schönsten Häuser der 50er Jahre, habe allerdings wohl ein derart schlechtes Gewissen hinterlassen, dass Emden heute über eine Denkmalliste verfüge, die die „beste weit und breit“ sei.

In seinem Vortrag „Engagement privater Initiativen im Bereich Denkmalpflege und Kulturlandschaft – Wirkungskreis und Einflussmöglichkeiten“ legte Schiefer zugleich eine kleine Geschichte des Denkmalschutzes vor, den schon Karl Friedrich Schinkel (1781 bis 1841) gefordert habe. Das Problem indes, so Schiefer, bestehe bis heute.

Er schlug ganz konkret vor, die Ostfriesische Landschaft in das Zentrum der Aktion zu stellen. Nicht nur durch die Schaffung einer Arbeitsgruppe, sondern auch durch die Einrichtung einer Fachstelle, die sachliche Beratung anbietet, etwa wenn es um die Ausweisung von Baugebieten geht. Baugebiete waren im Rahmen der Tagung ein großes Thema. So stellte Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender der Bundesstiftung Baukultur Potsdam, in seinem Vortrag „Mehr Baukultur für Stadt und Land“, fest, dass neue Baugebiete keineswegs eine Lösung für die Zukunft sind. Zwar weisen 84 Prozent der Gemeinden solche Erweiterungen aus – bei gleichzeitigem Schrumpfen des Ortskerns.

Beklagte einen mittlerweile dramatischen Verlust an Gulfhäusern: Landesdenkmalpfleger i.R. Hermann Schiefer

Zudem werde zwar viel gebaut, aber nur in fünf Prozent der Fälle werde auch architektonische Qualität geboten. Als rühmliche Ausnahme wurde mehrfach auf die Planungen des Lübecker Architekten Helmut Riemann verwiesen, der in Norden eine ganze Straße durch seine sensible Anlehnung an die historische Situation neu geschaffen habe. Auch die Sparkasse Aurich / Norden in der Großen Straße in Emden wurde als positives Beispiel herangezogen. Von den weniger gelungenen Beispielen gebe es genug. Eine besonders misslungene Einbettung in die vorhandene Bebauung in Groß-Holum (bei Neuharlingersiel) begegne ihm täglich, erläuterte Diplomingenieur Kai Nilson verärgert und fand drastische Worte: „Das ist einfach Sch….!“

Neben konkreten Beispielen ging es bei der Tagung auch um Informationsvermittlung. So stellte Diplom-Ingenieur Nils Juister vor, welche Projekte im Bereich der Denkmalpflege in den letzten zehn Jahren in Ostfriesland realisiert werden konnten. Das reicht vom Wasserturm und dem Großen Kaap auf Borkum über den Barocksaal von Schloss Dornum, einer Denkmalsanierung auf dem Friedhof von Detern bis zur Dachsanierung einer kleiner Villa in Weener. Insgesamt seien in der Dekade rund 5,18 Millionen Euro eingesetzt worden. Derzeit würden die Finanzmittel stark eingeschränkt, da Fördergelder nicht mehr zur Verfügung stünden.

Zuständig für die in Gründung befindliche Arbeitsgemeinschaft zu den Themen Kulturlandschaft, Baukultur, Denkmalpflege: Dr. Nina Hennig

In die Berichterstattung über die aktuelle Situation reihte sich auch Maren Stieber ein, die im Landkreis Leer die Untere Denkmalschutzbehörde verkörpert und schon schnell nach Amtsantritt feststellte, dass der Mut zur Lücke in dem Ein-Frau-Unternehmen zur Kunst erhoben werden muss. Bente Juhl vom Monumentendienst in der Weser-Ems-Region berichtete über die tägliche Arbeit einer kleinen Mannschaft, die mittlerweile rund 2000 historische Gebäude betreut. Und Kunsthistoriker Dr. Hanke Tammen wies auf einen deutlich englischen Bezug in der Architektur der Region hin. So verzeichne man in Ostfriesland die ältesten englischen Gärten außerhalb Englands. Und die Merkmale des Klassizismus in Ostfriesland – das ist die Georgianische Zeit im Vereinigten Königreich – seien nahezu deckungsgleich.

Der erste Tag der Tagung beschäftigte sich mit dem Begriff „Kulturlandschaft“. Dabei verwies Diplomingenieur Christoph Wiegand darauf, dass zehn der insgesamt ausgewiesenen 71 historischen Kulturräume Niedersachsens in Ostfriesland liegen. Sie seien abhängig von Siedlungsstrukturen, von der dort herrschenden Religion, aber auch von sprachlichen Entwicklungen. Als historische Kulturlandschaften von landesweiter Bedeutung ausgewiesen sind: das Ostdorf von Baltrum, der Geestrand bei Terhalle, die Wurtenlandschaft Nordwerdum, Charlottengroden, die Moorkolonie Neugaude, die Wallheckenlandschaft am Upstalsboom und in Holtland, Reepsholt, Iheringsfehn und das Wallhecken-System Ihrener Stern und Kamm.

Am dritten Tag der Tagung wurden Beispiele aus dem Bereich Denkmalschutz und Baukultur in der Gemeinde Dornum aufgesucht, um sich Objekte von Vorbildcharakter, aber auch Projekte anzusehen, die in den Augen von Fachleuten weniger gelungen waren. Insbesondere ging es dabei auch um Feriensiedlungen. Letzter Anlaufpunkt war dabei Nesse, wo ein Steinhaus restauriert wurde.

► Die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft, angesiedelt bei der Ostfriesischen Landschaft, war von Bürgern angeregt worden. Noch ist das Prozedere offen. Aber bis jetzt haben sich 44 Interessierte gemeldet. Weitere Meldungen sind möglich, wie Dr. Nina Hennig sagt. Sie ist bei der Landschaft die Leiterin der Museumsfachstelle und des Bereichs Volkskunde. Hier soll der Arbeitskreis angesiedelt werden, der sich im Herbst dieses Jahres erstmals treffen wird, um das weitere Vorgehen zu besprechen.