Wie Dinge ihre Banalität verlieren

Boen. Das ist mit Sicherheit die sonderbarste Ausstellung des Jahres, die derzeit in der Kunst-Scheune von Ulrich Schnelle in Bunde /Boen zu sehen ist und die am Sonnabend eröffnet wurde. Schnelle hat sich die Bremer Künstlerin Anne Schlöpke eingeladen, deren Arbeiten dem Surrealismus zugerechnet werden können.

Sie setzt auf Assoziationsketten und Emotionen und hat für Boen auch die ostfriesische Geschichte befragt. War Ostfriesland napoleonisch? Jawohl! Von 1806 bis 1813. Dann dürfe der Titel der Ausstellung doch wohl auch französische Anklänge transportieren? Aber natürlich.

Hainer Wörmann, Künstlerin Anne Schlöpke, Ulrich Schneider und Christiane Hubert-Schnelle in der Installation „La Demoiselle de Boen“

Eigentlich sollte die Schau nämlich „Das Fräulein von Boen“ heißen. Doch dann wurde daraus „La Demoiselle de Boen“. Diese wird durch Objekte gekennzeichnet, die auf einer runden Platte arrangiert sind, womit gleichzeitig eine Art von Lebenszirkel umschrieben wird. Dinge unterschiedlichster Art umkreisen dieses zentrale Objekt, wirken wie aus dem Alltag entnommen und lassen doch das Unterbewusstsein hektisch in Bewegung kommen. Was? Wann? Wie? Wo? Und dann auch: warum? Zugleich fühlt man sich als Betrachter zwischen Assemblagen von roten Schuhen und Spitzenhaube, blumigen Handarbeiten und reduzierten Zeichnungen unversehens schöpferisch animiert.

Die Installation sei der Versuch, das Leben greifbar zu machen und es vor dem „Horror Vacui“, der „Scheu vor der Leere“ zu bewahren, sagte Anne Schlöpke und verweist darauf, dass „unsere Welt zugestellt ist von Dingen“, die auf ein gelebtes Leben verweisen. Von ihrer Mutter habe sie – nach deren Tod – eine Knopfdose übernommen und aufbewahrt. „Seither sammle ich Weggeworfenes, heimatlos gewordene Dinge.“ Ein Teil dieser Dinge wurde für die Ausstellung genutzt. Sie versuche, damit eine Ahnung vom Schicksal der „Demoiselle de Boen“ zu geben – wobei fiktives und reales Geschehen fusionieren.

Hainer Wörmann während seiner Klangperformance mit Dingen des Alltags

Dass diese Form von Kunst sich keineswegs nur an Erwachsene richtet, zeigte ein Kinderbesuch wenige Stunden vor der Eröffnung. Das berichtete Christiane Hubert-Schnelle während der Eröffnung dieser „außergewöhnlichsten Ausstellung, die wir je hatten“. Der Junge habe natürlich die Objekte erkannt, aber auch die künstlerische Verfremdung nachempfinden können. „Er stand geradezu ehrfurchtsvoll vor der Installation.“

Ergänzt und erweitert wurde die stark besuchte Ausstellungseröffnung durch eine Klangperformance „Aus dem Koffer“ des Bremer Musikers, Komponisten und Improvisateurs Hainer Wörmann, der mit ganz banalen Dingen – Joghurtbechern, Plastikobstschalen, Steinen, Pappe, Papier, Geigenbogen, Spachteln – Klänge von bestechender Intensität und teilweise berührender Zartheit erzeugte. „Die Gegenstände verlieren ihre Banalität durch die Untersuchung auf ihre klanglichen Eigenschaften.“ In der Tat!

► Die Ausstellung, die erstmals von der Ostfriesischen Landschaft unterstützt wird, ist bis zum 20. August zu sehen. Kontakt: Atelier Ulrich Schnelle, Tel 0 49 53 / 92 24 72, Boenster Hauptstraße 3