Kontroversen, Konfrontationen, Konflikte

Die Kunsthalle zeigt anhand von Nolde und Rohlfs die individuelle Entwicklung zweier bildender Künstler

Emden. Kann man Leben und Werk zweier bildender Künstler voneinander trennen? In wie weit bedingt die Biographie die künstlerischen Äußerungen? Oder anders gefragt: Kann man Werk und Autor trennen? Die wissenschaftliche Museumsdirektorin Lisa-Felicitas Mattheis fasst diese Fragestellungen gleich im ersten Satz ihres Vorwortes zum Katalog „Nolde Rohlfs. Zwei Künstlerleben“ zusammen. „Als zentrales Dilemma einer sammelnden Institution kann die Frage gelten, wie wir mit heutigem Sach- und Kenntnisstand mit dem belastetem Erbe der Sammlungsexponate umgehen.“

Tanz mit dem Gnom: ein Besucher hat sich in die extrem vergrößerte Schattenrss-Ebene hineingewagt

Belastetes Erbe? Worum geht es? Der bekannte, beliebte, als Künstler hoch geschätzte Emil Nolde, das Zugpferd jeder Ausstellung, war ein bekennender Antisemit und Verehrer des Drittem Reiches, der sich in seinen Schriften auch unverblümt darüber äußert. Darf man ihn nun nicht mehr zeigen? Ja! sagt Kuratorin Kristin Schrader. Aber man muss diese Fakten mit berücksichtigen und sie entsprechend einordnen, sie in neue Kontextualisierungen setzen.

Die Kunsthalle hat in ihrer aktuellen Ausstellung, die heute (12. November) um 18 Uhr eröffnet wird, dem Umstrittenen, der seit der großen Ausstellung in Frankfurt 2014 politisch entkleidet dasteht, einen zweiten Künstler derselben Zeit gegenüber gestellt – Christian Rohlfs. Familie Rohlfs und die Noldes waren befreundet, aber Rohlfs war der vermeintlich Gute im Duo. Wirklich? fragt die Kunsthalle und kommt zu dem Ergebnis, dass auch Rohlfs nicht unpolitisch war und sich dem Thema „Juden“ in ähnlich drastischer Weise in Stereotypen genähert hat wie Nolde.

Kontroversen – überall. Und wieso war der mit Berufsverbot belegte Nolde ein Befürworter Hitlers? „Nolde war zwar mit einem Berufsverbot belegt, aber nicht mit einem Malverbot. Und das hat auch niemand überprüft“, sagt Till Steinbrenner. Der Künstler hat sich mit seiner Kollegin Lotte Lindner über die literarische Schiene mit Nolde befasst. Diese Beschäftigung hat zu eigenen künstlerischen Kommentaren der beiden geführt, die in die Ausstellung unter dem Titel „Interventionen“ eingearbeitet sind. Da wird filmisch eine Passage aus der Autobiographie Noldes aufgearbeitet – bis hin zur mystischen Vermählung Noldes mit Mutter Erde. Es wird die kleine Plastik „Lachender Gnom“ riesig auf eine Wand projiziert, und der Besucher ist aufgefordert, sich ins Bild zu begeben und zu dem Schattenriss zu verhalten.

Konfrontationen überall. Man stolpert über Widersprüchliches, über Antisemitisches, über Schönes. Doch die ketzerische Frage der Kuratorin „Kann man die vielgeliebten Blumenstilleben Noldes trotz seiner Biographie noch genießen“, beantwortet sich durch das Fazit, das Steinbrenner zieht. Es seien historisch schlimme Fehler gemacht worden, aber könne man wirklich so sicher sein, nicht in der heutiegn Zeit als Künstler ebenfalls schwere Fehler zu begehen, die ihrerseits erst in der geschichtlichen Aufarbeitung der Nachfahren thematisiert würden?

Die Kunsthalle hat die Ausstellung chronologisch aufgebaut, und innerhalb dieser Abfolge die beiden Künstler einander gegenüber gestellt. Dazwischen tauchen immer wieder die Kommentierungen von Steinbrenner und Lindner unter Verwendung unterschiedlicher Medien auf, aber auch zwei Räume mit Malereien von Brücke-Malern sind eingeschoben. So bestehen vielfache Möglichkeiten, sich selber ein Bild zu machen und immer wieder zu vergleichen.

Die Ausstellung „Nolde. Rohlfs“ ist bis zum 21. Februar 2023 zu sehen. Es ist ein Katalog erschienen, der für 19,90 Euro an der Museumskasse zu bekommen ist.

Eröffnung:12. November, um 18 Uhr im Atrium der Kunsthalle

Am Sonntag, 13. November, gibt es um 15 Uhr ein Gespräch zwischen Lotte Lindner und Till Steinbrenner mit Lisa Felicitas Mattheis und Kristin Schrader