Aufgabe und Verpflichtung

Emden. Jenseits der wissenschaftlichen Arbeit, die in der Johannes a Lasco Bibliothek geleistet wird, gibt es zahlreiche Ehrenamtliche, die sich hier engagieren. Eine von ihnen ist Frauke Fast, die einer besonderen Aufgabe nachgeht. Die Violinistin, die mit dem Mennoniten-Pastor Dr. Heinold Fast verheiratet war, hat die Archivalien und Dokumente der Familie der Bibliothek übertragen und sorgt nun selber dafür, dass das umfangreiche Konvolut auch fachgerecht geordnet und damit zugänglich gemacht wird.

Karton für Karton arbeitet sich Frauke Fast durch die Familien-Dokumente

Zweimal pro Woche sitzt Frauke Fast in der Bibliothek und erfasst die schriftlichen Hinterlassenschaften der Familie, die in Emden sehr gut vernetzt war, so dass sich auch für die Stadtgeschichte Emdens Rückschlüsse und Querverbindungen aufzeigen lassen.

Die Familie Fast kommt aus der Ukraine. Schwiegervater Abraham Fast (1886 bis 1962) war der älteste Sohn eines Landwirts und Blaufärberei-Besitzers in einer ukrainischen Mennonitenkolonie. 1914 kam er mit seiner Familie nach Deutschland und entschied sich, die Predigtstelle in der ältesten mennonitischen Gemeinde in Emden anzunehmen. „Die Familie Fast hat viel bewegt in Emden“, sagt Frauke Fast. Denn Abraham Fast habe die Gemeinde erst wieder aufgebaut. Sie bestand damals, unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg, aus gerade noch 30 Mitgliedern.

Und weil Abraham Fast beruflich viel in der Region unterwegs war, sammelten sich auch enorme Mengen an Material an, das seine Frau Luise Fast sorgsam aufbewahrte. Irgendwann habe sie dann auch angefangen, die Unterlagen zu sichten und den einzelnen Familienmitgliedern zuzuordnen. Als Behältnis wählte sie Koffer. Den ersten füllte sie mit Dokumenten der eigenen Schwiegereltern. Den zweiten ordnete sie ihrem Sohn Helmut zu, den dritten Sigurd und den vierten Heinold, der später Nachfolger seines Vaters als Pastor in Emden wurde.

Schulhefte, Aufsätze, Briefwechsel, Unterlagen aus dem Programm der Kinderlandverschickung, Dokumente zum Leben im Zweiten Weltkrieg. Alles fand sich in den Koffern wieder – und das scheint wie ein Wunder. Denn Familie Fast wurde dreimal ausgebombt, verlor dreimal ihren gesamten Besitz – bis auf die Koffer. „Wir hatten sie in unserer Wohnung über dem Gemeindesaal in der Brückstraße, sie sind mit uns umgezogen nach Norden, nach Berum und zurück nach Emden.“ Am 22. November 2015 starb Dr. Heinold Fast. Doch die familiären Erinnerungsstücke blieben. Nichts verschwand, alles wurde weiter ordentlich bewahrt.

In der Corona-Zeit begann die intensivere Beschäftigung mit den Dokumenten, berichtet Frauke Fast. Sie hatte Zeit und konnte sich in Ruhe mit den Dingen befassen. Und dabei wurde ihr dann auch bewusst: „Außer mir weiß niemand mehr etwas mit den Hinterlassenschaften anzufangen. Nur ich kann sie noch zuordnen. Als letzte.“ Daraus erwuchs eine Aufgabe, die sie seither mit Geduld und Sorgfalt erledigt. Denn es geht nicht nur um die vier Koffer, sondern auch um eine unglaubliche Zahl von Kartons, in denen sich auch historische Zeitungen, Broschüren, Schriftstücke stapeln. Unter anderem fand sie auch das Manuskript für eine gebundene Broschüre, die Abraham Fast für seine Frau geschrieben hatte. „Aus unserem Leben. Aufzeichnungen zum Tage der goldenen Hochzeit“. Das Heft erschien 1962, dem Todesjahr des Autors.

Frauke Fast, geborene Meyer, wurde in Neuenburg bei Danzig geboren. Der Vater fiel – da war sie ein halbes Jahr alt. Die Mutter floh mit dem Kleinkind Richtung Westen und kam schließlich in Westeraccum bei einem Bauern als landwirtschaftliche Arbeitskraft unter. „Alle guten Erinnerungen, die ich an meine Kindheit habe, stammen von diesem Hof.“ Die Mutter zieht nach Norden und dort lernen die beiden Abraham Fast kennen. Die junge Frauke fasst den Entschluss, künftig am Religionsunterricht der Mennoniten teilzunehmen. Und sie wird – 15-jährig – der erste Täufling von Heinold Fast, ihrem späteren Mann.

Doch soweit ist es noch nicht. Mutter und Tochter Meyer ziehen um nach Detmold, wo Frauke erst ihr Abitur an einem Gymnasium mit musischem Zweig ablegt und dann ein Musikstudium im Fach Violine beginnt. Sie bricht diese Ausbildung ab, als sie 1963 Heinold Fast heiratet. Dann gilt es, sich in die Rolle der Pastorenfrau einzufinden. Sie erteilt Musikunterricht, wird 1. Geigerin eines Streich-Quartetts und Mutter zweier Kinder. 19 Jahre später will Frauke Fast es noch einmal wissen. Sie nimmt das Studium wieder auf – und schließt mit Bestnote ab.

Jetzt aber ist die Zeit des Ordnens gekommen. Eine Schrift ihrer Mutter über die Flucht und die Jahre in Ostfriesland – geschrieben auf ausdrücklichen Wunsch der Tochter – sind in den Bestand der Dokumentationsstätte Gnadenkirche Tidofeld eingegangen. Für die Erfassung der Unterlagen in der Bibliothek werde sie noch Monate benötigen, schätzt Frauke Fast. Denn neben den Koffern und Kartons stehen noch zahlreiche unbearbeitete Aktenordner in den Regalen der Bibliothek – das schriftliche Erbe einer Emder Theologenfamilie …