Fayencen aus ostfriesischen Bauernstuben

Emden. Die Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer (kurz: 1820dieKUNST) hat eine besondere Schenkung für das Ostfriesische Landesmuseum erhalten. Rund 70 Delfter Fayencen aus dem Besitz der Familie Herlyn (Bremen / Göttingen) sind übergeben worden – darunter sehr seltene Stücke aus Friesischer Majolika und einige kleinere Figuren – ebenfalls aus der Irdenware. Die Fayencen, sogenanntes „Hollants porceleyn“, wurden von dem in Pewsum ansässigen Landarzt und Sanitätsrat Dr. Sunke Herlyn (1868 bis 1947) gesammelt, erläuterte Dr. Annette Kanzenbach, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Ostfriesischen Landesmuseums. Die Kinder des Mediziners teilten die Fayencen untereinander auf, sammelten aber auch weiter. Die Enkel-Generation gibt nun nahezu das gesamte Konvolut als Schenkung nach Emden, um die Sammlung möglichst vollständig wieder in Ostfriesland zusammenzuführen.

Stellen drei Objekte der Sammlung vor: Jasmin Alley mit dem Majolika-Teller, Gregor Strelow mit einer Vase im chinesischen Stil und Dr. Annette Kanzenbach mit einer Kuh aus Irdenware

Das Ostfriesische Landesmuseum verfügt nur noch über einen kleinen Bestand an Fayencen. Das meiste sei im Krieg zerstört worden, sagt Dr. Annette Kanzenbach. Daher sei der Neuzugang hoch willkommen. Es handelt sich dabei um Teller, Vasen und kleine Figurinen aus der Zeit seit dem späten 17. Jahrhundert. Sie stammen aber eben nicht aus China, sondern aus den Niederlanden. Viele Stücke tragen die Marke von Delfter Produktionsstätten, die das wertgeschätzte chinesische Porzellan mit Hilfe von Keramik nachahmten. Daneben gibt es den dunkleren Scherben der Irdenware, der die Grundlage für die Friesische Majolika war – Gebrauchsgeschirr, das im Alltag oft zerbrach oder beschädigt und aussortiert wurde. Heute werden diese Gegenstände umso höher geschätzt, eben weil sie so selten sind.

Leben mit Kunsthandwerk: Dr. Sunke Herlyn und Ehefrau Ewalde mit Familie in der Wohnstube. Das Foto entstand 1908. Bild: privat

Dr. Sunke Herlyn stammte aus einer Landwirtschaft auf der Domäne Uplewarder Grashaus. Er war ab 1893 als praktischer Arzt, Frauenarzt und Geburtshelfer in Pewsum tätig. Seine Hausbesuche pflegte er nachmittags mit einem Landauer zu machen. „Er betrat die Höfe gerne durch die Küche oder das Scheunentor, um sich ein authentisches Bild von der Lebensweise seiner Patienten zu machen“, schreibt Enkel Dr. Sunke Herlyn in einem biographischen Abriss über seinen Großvater. In diesem „Milieu“ habe Herlyn Zugang zu den Lebensgewohnheiten seiner Landsleute und ihrem häuslichen Umfeld gefunden, heißt es weiter. Was er in den Haushalten zu sehen bekam, waren kunstvolle Möbel, Haushaltsgegenstände und eben die Fayencen. „Sunke Herlyn begeisterte diese ästhetische Wertschätzung seiner Landsleute so sehr, dass er selber auch zum leidenschaftlichen Sammler dieser Objekte wurde.“

Das Ziel des Sammlers? Die Dokumentation des bevorzugten Interieurs ostfriesischer Bauernstuben. Nach dem Tod Sunke Herlyns 1947 wurde die Sammlung unter den Kindern verteilt, aber auch weitergeführt. Als Sammler fungierte Karl-Ewald Herlyn (1932 bis 2018), ebenfalls Mediziner, der die Verbindung zu Ostfriesland nicht abreißen ließ. Er habe die Sammlung im Laufe der Jahre um „besondere Stücke erweitert“, heißt es in der biographischen Notiz. Kurz vor seinem Tod fasste Karl-Ewald den Beschluss, die Sammlung nicht weiter aufzuspalten, sondern „als Gesamtwerk dem ostfriesischen Ursprungsland zurückzugeben“. Die Fayencen, die nach dem Tod des Vaters seinen Geschwistern Sonka und Sunke zugefallen waren, wurden in der Folge wieder in die Sammlung integriert.

Der Geldwert der Sammlung ist übrigens kein Kriterium für die Aufnahme in den Bestand des Landesmuseums gewesen, sagt Museumsleiterin Jasmin Alley. Es gehe vielmehr um den kulturhistorischen Wert und die Dokumentation, welche Wertschätzung die Delfter Fayence zur damaligen Zeit in der Bevölkerung genoss. Und wenn man dennoch nach dem Wert der Schenkung fragt? Vor 15 Jahren hätte er bei rund 20 000 Euro gelegen, sagt Annette Kanzenbach. „Doch die Nachfrage nach diesem Sammelgut ist deutlich geringer geworden – und entsprechend sind auch die Preise gefallen.“ Dennoch sei es sinnvoll, jetzt Sammelgut aufzunehmen, betont die Kuratorin. „Derzeit kann man günstig kaufen. In ein paar Jahren sind die Sachen dann wieder unerschwinglich.“ Das sei der übliche Gang auf dem Kunstmarkt und gelte unter anderem auch für ostfriesische Gemälde.

Zwei Musiker, geschaffen aus empfindlicher Irdenware und unbeschädigt

Für die Sammlung des Ostfriesischen Landesmuseums bedeute die Schenkung einen schönen Zugewinn, versicherte der Vorsitzende von 1820dieKUNST, Gregor Strelow. Und damit auch Besucher des Museums sich einen Eindruck verschaffen können, sind jetzt sieben Objekt in einer Vitrine im Foyer des Hauses zu sehen – als anregender Appetithappen. Darunter befindet sich auch ein Lieblingsobjekt des Sammlers – eine kleine Kuh. Weiter sind zu sehen: zwei Musikanten, zwei Vasen, eine Majolika-Schale und ein besonderes Stück aus dem 17. Jahrhundert: die Kopie eines chinesischen Tellers mit einem europäischen Zentralmotiv und einer Randgestaltung im chinesischen Stil. „Ein wirklich prächtiges Stück“, urteilt Annette Kanzenbach.

► Nachdem die offizielle Übergabe der Schenkung zwei Jahre lang immer wieder der Pandemie zum Opfer gefallen war, sollte es am Montag, 19. Dezember, endlich soweit sein. Doch auch diese Planung wurde von Corona zunichte gemacht, so dass die Familie sich entschlossen hat, im Januar nach Emden kommt, um den Termin nachzuholen.