Konfrontationen und Spiegelungen

Herbert Müller stellt Bilder aus 40 Jahren Beschäftigung mit dem KZ Engerhafe aus

Norden. Im lichtdurchfluteten Chorumgang der Ludgerikirche ist zu den historischen Grabsteinen aus Stein oder Metall ein weiterer hinzugekommen. Kreiert hat ihn der Künstler Herbert Müller. Das Grab ist gleichzeitig Denkmal und Teil der Ausstellung „Unsichtbares sichtbar machen. Das KZ vor der Haustür“, die bis zum 28. Juli in Norden zu sehen ist.

Im „Grab“ spiegeln sich Fenster und Gewölbe des Chorumgangs in Ludgeri

Das Grab ist keines der lyrischen Art, das Paul Celan in seinem Gedicht „Todesfuge“ so atmosphärisch „in den Lüften“, wo es nicht eng ist, verortet. Dieses Grab ist erdgebunden. Zu sehen ist ein Schädel, der aus der Schwärze der – ebenfalls gemalten – Erdmassen hervorlugt. Eine durchsichtige Platte schließt dieses Memento ab. Und in dieser spiegeln sich nun Teile der Kirche wider. Eine wirkungsvollere Versöhnung von Kontrasten hätte man sich kaum ausdenken können. Hier das Grauen in der Erde, dort das Himmlische Jerusalem in Gestalt vielfarbiger Fenster und gotischer Bauteile, die sich lindernd über die schrecklichen Geschehnisse jener zwei Monate im Winter des Jahres 1944 legen.

Damals war Menschlichkeit fern. Das Konzentrationslager lag mitten im Dorf Engerhafe. Doch jeder, der einzugreifen versuchte, jeder, der diese Unmenschlichkeit nicht hinnehmen wollte, jeder, der auch nur den Mund aufmachte, wurde sofort massiv bedroht, so berichtet es Herbert Müller selber, der an diesem Tag eine Gruppe durch die Ausstellung führt. Er sieht die Darstellung mittlerweile nicht mehr nur im Hinblick auf die spezielle Situation 1944, sondern als eine allgemeine Klage bis heute. „Es ist doch entsetzlich, bis heute mit einer Situation konfrontiert zu werden, die man überwunden glaubte.“

Helmut Müller führte durch die Ausstellung, hier bei der Ansicht des Denkmals am Panzergraben

Eine andere Station der Ausstellung. Hier stehen die Reste von Statuen aus dem 13. Jahrhundert in Nischen. Müller hat lebensgroße Darstellungen von Gefangenen wie Schatten hinter den Körpern platziert. Die Gesten der sehr fein aus dem Stein geschlagenen Plastiken kontrastieren mit den Bildnissen der Gefangenen, die still hinter ihnen stehen, den Blick geradeaus gerichtet. Fleisch und Blut gegen Stein. Und wieder sind da die Konnotationen der Konfrontation von himmlischen Wesen und irdischer Realität.

Müller berichtet davon, dass die Heeresleitung nach dem D-Day vom 6. Juni 1944 befürchtete, dass es eine zweite Landung im Bereich der Nordsee geben könne. Daher habe der Befehl gelautet, den Friesenwall zu errichten, wovon der Panzergraben um Aurich ein Teilstück war. So kam es zur Verlegung von etwa 2000 Gefangenen nach Engerhafe. Der Künstler, der nun zum Historiker wurde, ermittelte: Es herrscht in den zwei Monaten im provisorischen, aber stark gesicherten Lager furchtbares Wetter mit durchgehendem Regen. Einer derer, die das Lager überlebten, habe ihm gesagt, dass es immer dunkel war. Morgens wurde der Fußmarsch nach Aurich um 5 Uhr begonnen, abends kam man im Dunkeln zurück. Selbst die mächtig ragende Kirche von Engerhafe habe man nie gesehen.

Müller entwickelte daraus seine „dunkle Serie“. Bilder mit schauerlichem Inhalt. Gefangene, die die Toten an den Beinen ins Lager zurückschleppen, wobei deren Köpfe über das Kopfsteinpflaster schlagen. Ein Bauunternehmer stellt schließlich einen Karren zur Verfügung. Morgens wird damit nun das Brot für die Gefangenen angeliefert, abends transportiert man damit die Toten ab.

Weitere Station der Ausstellung: die Porträts der Toten, die eine alliierte Kommission nach dem Krieg exhumieren ließ. Müller wählte für die 18 Schädel, die er für sein Malprojekt auswählte, Riesenformate. Diese Vergrößerung überhöht zugleich die Darstellung. Dennoch wirken die Porträts derart bedrückend, dass ein Sammler einen Ankauf rundweg ablehnte. So etwas wolle er nicht in seinem Haus haben – nicht einmal in einer Schublade.

Die Grabungsprotokolle hat Müller auf Leinwand übertragen und diese Fahnen im Gewölbe aufhängen lassen

Seit 40 Jahren – damals lehnte die zuständige Verwaltung eine Beschäftigung mit dem Thema KZ-Engerhafe rundum ab – beschäftigt sich Herbert Müller mit den Toten und versucht, ihnen damit Wertschätzung entgegen zu bringen – mit Bildern, die, so düster und bedrohlich sie in der Farbgebung auch sind, die damalige unmenschliche Situation nachvollziehbar machen. Er selber habe beim Malen aber die Empfindung gehabt, dass die Toten eine Individualität erlangen. „Ich hatte das Gefühl, sie werden dadurch wieder lebendig.“

► Die Ausstellung „Unsichtbares sichtbar Machen. Das KZ vor der Haustür“ dauert bis zum 31. Juli ► Am 18. Juni, 10 Uhr, findet ein Gottesdienst statt, der sich mit der Ausstellung auseinandersetzt

► Am 7. Juli lädt die Gemeinde um 19 Uhr zu einer Buchvorstellung mit Diskussion ein. Die Religionswissenschaftlerin Dr. Insa Eschebach stellt ihre Publikation „Was bedeutet Gedenken?“ vor.

► Am 28. Juli spricht die Historikerin Dr. Simone Erpel um 19 Uhr im Rahmen der Finissage über die Neugestaltung der Gedenkstätte Engerhafe