Die Entdeckung eines neuen Formates

Leer. Ein hochvirtuoses Wandelkonzert im Rahmen der Gezeitenkonzerte erlebten 160 Besucher am Sonntag (25. Juni) in der Evenburg und dem Saal der Kreismusikschule Leer. Damit war die Veranstaltung ausverkauft. „Piano Panorama“ nannte sich das neue Format, zu dem vier Pianisten eingeladen worden waren. Nach dem Modell der „Langen Nacht“ wurden je zwei Pianisten einem Raum zugeordnet. Wandern musste das Publikum. Am heißen Sonntag bei 30 und mehr Grad rund sechs Stunden in ebenso heißen Räumen zu verweilen, verlangte nicht nur von den Besuchern Kondition.

Das Pianisten-Quartett: Luisa Imorde, Danae Dörken, Lilit Grigoryan und Vasyl Kotys. Bilder Karlhein Krämer

Danae Dörken, Luisa Imorde, Lilit Grigoryan und Vasyl Kotys hatten sich jeweils anspruchsvolle Programme zusammengestellt, mit denen sie für Faszination und Bewunderung sorgten. Gab es noch eine Verstärkung dieses Eindrucks? Gab es! Als nämlich alle vier in unterschiedlichsten Kombinationen die tollsten Stücke spielten – so bunt und farbig und meisterhaft und künstlerisch und kraftvoll und freudenvoll und feinsinnig und geistreich und beeindruckend und schön und vortrefflich.

Doch zunächst spielen drei Pianistinnen und ein Pianist hinreißende eigene Programme. Luisa Imorde stellte in zwei Partien jeweils Werke zweier Komponisten gegenüber: Couperin und Messiaen, Bach und Kapustin. Imorde verschleift die Werke miteinander und macht so deutlich, dass zwischen den Lebenszeiten und -welten ihrer Protagonisten keine wirkliche Fremdheit besteht, dass Musik eine zeitlose Dimension aufweist.

Danae Dörken ist eine kraftvolle Pianistin. „Die ist ja losgegangen wie ein Vulkan“, befindet ein Besucher nach dem Konzertanteil der Schülerin von Karl-Heinz Kämmerling und Lars Vogt. In der Tat geht es bei Dörken temperamentvoll zu. So sehr, dass die „Fantasie fis-Moll op. 28“ von Mendelssohn-Bartholdy zu einem mächtigen Katarakt an Tönen wird – mitreißend und hinreißend.


Lilit Grigoryan ist als ehemalige Schülerin des Gezeiten-Intendanten Matthias Kirschnereit mittlerweile arriviert und erfahren. Das meditative Werk „Música callada“ – Musik, die schweigt –, das die „geheimen Tiefen der Seele“ auszuloten verspricht war an diesem schwül-heißen Tag fast zu schwermütig. Aber Grigoryan setzte Beethovens „Appassionata“ dagegen und ließ das dynamische Geschehen der technisch anspruchsvollen Sonate mit feurigen Läufen ausklingen.


24 Préludes von Chopin hatte sich Vasyl Kotys vorgenommen und wies jedem einzelnen der vorwiegend kurzen Stück eine feine charakteristische Abstufung zu. Sein technisches Vermögen ist enorm, seine Virtuosität ebenfalls – und erst das Gedächtnis. Aber auch das Nocturne Nr. 13 in c-Moll wurde unter den Händen von Kotys zu einem geschliffenen Edelstein und durch das hohe Tempo gestaltet sich das Nachtstück derart, dass man sich fragte, wer angesichts dieses so wunderbar gespielten Furors zur Ruhe kommen soll.

Stimmungsvoll: die Bühne im Saal der Evenburg, wo vor dem Eintreffen der Besucher noch geprobt wird

Im Abschluss-Programm, dass im Anschluss an die Kurzkonzerte gemeinsam gespielt wurde, präsentierte Kotys eine „Tarantella“ von Franz Liszt, ein langsam ansteigender musikalischer Vulkan, ein rechtes Virtuosenstück, das einem den Atem verschlägt. Nun entspinnt sich ein tänzerischer Wettstreit, den die Pianistinnen zu zwei, vier oder auch zu sechs Händen spielen: vier ungarische Tänze von Johannes Brahms, der „Feuertanz“ von Manuel de Falla, der Schwerttanz von Aram Khatschaturjan, ein Walzer und eine Romanze zu sechs Händen von Rachmaninow. Dazu „Rêverie“ von Claude Debussy, noch ein Nocturne von Debussy. Und alles erklingt mit einer Begeisterung und so viel guter Laune, dass man nicht weiß, wer mehr Spaß daran hat – die Künstler oder das verbliebene Publikum.

Piano Panorama startete unter dem diesjährigen Motto der Gezeitenkonzerte „Neues entdecken!“ Und eine Entdeckung war dieses Format mit Sicherheit.