Überraschungen auf ganzer Linie

Emden. Lera Auerbach ist präzise. Wenn sie als Tempobezeichnung in ihren „24 Präludien für Violoncello und Klavier“ ein Adagio sognando angibt, dann wird es in der Tat träumerisch, Tempo di valzer tänzelt formgewandt, und bei Dialogo führt das Cello mit sich selber ein höchst anregendes Gespräch.

Dimensionen – in der Kunsthalle gleich dreifach: im Raum, in den Bildern und auch in der Musik. Bilder: Karlheinz Krämer

Doch es schieben sich immer wieder Dissonanzen in das feine Tongespinst, immer scheint etwas dazwischenzukommen, ein schräger Ton, ein kraftvolles dazwischengrätschen, ein grober, quietschender jaulender oder quengelnder Laut. Das wirkt beim ersten Hören befremdlich. Dies als Zeichen eines Reflexes zu erklären, mit dem sich die unruhige Welt in das musikalische Geschehen mischt, scheint als Erklärung etwas zu einfach zu sein. Vielleicht ist es eher ein Zeichen für den tiefgründigen Humor der russisch-österreichischen Komponistin, Pianistin und Autorin, die in New York lebt und arbeitet.

Lera Auerbach vor einem Gemälde Jan Pleitners

Sie steht offenbar den Traditionen der Musik offen gegenüber – hören sich einige Töne doch tatsächlich romantisch oder barock an, dann vermeint man, Jazz-Formen zu vernehmen, dann sind es wieder atonale Laute, die herausbrechen. Allerdings ist das, was Lera Auerbach komponiert, weit davon entfernt, als Nachschöpfung oder gar als Eklektizismus eingeordnet zu werden. Denn indem sie mit kritischem Blick hintergründig an die Musik herangeht, gelingt ihr Neuschöpfung. Ihre Musik klingt locker und unverkrampft, modern und doch gebunden an gewisse Traditionen. Das macht ihre Kompositionen – und es sind wirklich viele, wie man im Programmheft nachlesen kann – sympathisch.

Das spürten auch die Besucher in der Kunsthalle, wo traditionell die Komponistenporträts stattfinden. Das Atrium war dann auch gut besucht, und die Besucher blieben gespannt bis zum Schluss. Das Format gebe es in dieser Form nur bei diesem Festival, hob der künstlerische Leiter der Gezeitenkonzerte, Matthias Kirschnereit, hervor. Dass erst jetzt eine Frau vorgestellt werde, hänge damit zusammen, dass vielfache Versuche, Komponistinnen einzuladen, an terminlichen Schwierigkeiten scheitert seien.

„Sonate Nr. 3“ von Lera Auerbach: Mihaela Martin, Lera Auerbach und Ani Aznavoorian

Nun also Lera Auerbach. Sie wirkt zurückhaltend und strahlt große Ruhe aus, wie sie da adie Bühne betritt. Ihren Kolleginnen gegenüber ist sie von ausgesuchter Höflichkeit und wertschätzender Aufmerksamkeit. Ani Aznavoorian (Violoncello) und Mihaela Martin (Violine) haben ganz offensichtlich Spaß an der Zusammenarbeit. Immer wieder gleitet ein Lächeln über die Züge der beiden Streicherinnen, die ihre Parts souverän und in perfekter Abstimmung meistern.

Konzentration und Technik: Ani Aznavoorian spielt die Präludien

Nach einer viersätzigen Sonate Nr. 3 für Violine und Klavier, ebenfalls ein Werk der Komponistin, endete der Abend mit einer Verbeugung vor der russischen Heimat, mit Prokofiews Sonate für Flöte und Klavier op. 94 in einer Bearbeitung von Lera Auerbach für Violine, Violoncello und Klavier.

Riesiger Applaus für einen Abend mit moderner Musik, der auf ganzer Linie Überraschungen bescherte, und eine hinreißend schöne Zugabe – „Postscriptum für Violine, Violoncello und Klavier“.