Deklamatorische Entfaltung

Emden. In einem quasi intimen Rahmen vollzog sich am Freitagabend bei den Gezeitenkonzerten ein Abend um den Orpheus-Mythos. Es saß tatsächlich nur ein kleiner Kreis im Fährhaus am Borkumkai und hörte zu, als Schauspieler Udo Samel literarische Texte las, die mit Musik von Dowland, Mozart, Ravel, Lachenmann und Trojahn verwoben wurden. Übrigens: Lachenmann und Trojahn sind den Gezeiten-Freunden bestens aus den Komponistenporträts der letzten Jahre bekannt.

Udo Samel im Fährhaus. Bilder: Karlheinz Krämer

Die Geschichte um Orpheus, der versucht, seine Eurydike aus dem Hades zurück zu holen, ist uralt. Doch die Toten soll man nicht stören. Rilke wählt da ein gleichermaßen schlichtes wie grandioses Bild für den prekären Zwischenzustand, in dem sich die Geliebte des Orpheus befindet. „Sie war in sich, und ihr Gestorbensein erfüllte sie wie Fülle“, heißt es da an einer Stelle im Gedicht „Orpheus. Eurydike. Hermes“ aus den „Sonetten an Orpheus“.

Das Verweben von Text und Musik war geschickt gelöst. Markus Becker (Klavier) und Oliver Wille (Violine) gingen sehr behutsam mit den Tönen um und ließen der Stimme von Samel genügend Raum zur deklamatorischen Entfaltung. Im Fall von Trojahn war die Konzeption eine andere. Trojahn hat nämlich sechs der 55 Sonate an Orpheus von Rainer Maria Rilke vertont, wobei sich die Musik zu den gesprochenen Texten gesellt. Im dritten Fall wurde erst rezitiert, dann stellten Wille und Becker die Musik in einem eigenen Block dazwischen.

Markus Becker, Oliver Wille und Udo Samel gestalteten das Programm ganz konzentriert und ohne Pause

Natürlich war das alles sehr intellektuell aufgebaut. Man musste schon gut zuhören, um den verschiedenen Argumentationssträngen der Autoren – neben Rilke waren es Ingeborg Bachmann, der Senegalese Birago Diob und Cesare Pavese – zu folgen. Aber Samel machte es gut: las langsam, schön betont, klar. Und die Musik war ganz ausgezeichnet gewählt. Nicht nur die Lieder von Dowland betteten die Texte in eine zeitlose Stimmung ein und verliehen ihnen Atmosphäre.

Warten auf den Auftritt im Bereich, den sonst die Borkum-Gäste vor der Abfahrt nutzen

Ganz rührend: Zum Schluss stellten sich die Akteure zusammen und sangen a capella „Der Mond ist aufgegangen“. Das Publikum nahm den Text auf und sang mit.