„Es lebe die Kunst!“
Bunderhee. 1500 Gäste beim Abschlusskonzert des Gezeiten-Festivals auf dem Polderhof in Bunderhee: „Eine Rekord-Saison“ liege hinter dem Organisationsteam, schwärmte Intendant Matthias Kirschnereit bei seiner Ansprache vor Beginn des Großkonzertes. „Der schönste Wahnsinn!“ Anders als andere Festivals, die über Besucherschwund klagten, könnten die Gezeiten vom Gegenteil berichten. Und das, so diagnostizierte der Pianist und Klavier-Professor, liege an der hohen Identifikation – des Publikums und der Unterstützer mit dem Festival, der Künstler mit ihrem Tun, des Publikums mit den Künstlern. Kirschnereit fasste seine Auffassung in einem kraftvollen Ausruf zusammen: „Es lebe die Kunst!“
Dass man sich auf dem Polderhof im Bereich des Kulturgutes befinde, machte auch Helmuth Aiso Brümmer deutlich. Brümmer, Chef des Gestüts, verwies darauf, dass die Rasse der Friesenpferde 400 Jahre alt und damit europäisches Kulturgut sei. Und letztlich machte auch der Präsident der Ostfriesischen Landschaft, Rico Mecklenburg – die Landschaft ist Veranstalter der Gezeitenkonzerte – deutlich, wie stark die positiven Auswirkungen seien, die durch die immer noch wachsende Zahl von Unterstützern und Förderern entstehen und die kulturellen Möglichkeiten des Festivals beeinflussten. Solchermaßen meinten alle drei Redner dasselbe: Kultur – und damit auch die Musik – sei ein menschliches Urbedürfnis und finde im Festival und den Veranstaltungsorten seine Manifestation.
Dass diese Haltung geteilt wird, zeigte sich dann beim Abschlusskonzert selber. Die Junge Norddeutsche Philharmonie (jnp), nunmehr zum vierten Mal dabei, spielte ein Programm, dass dem oben genannten menschlichen Urbedürfnis zur Gänze entsprach. Händels Feuerwerksmusik ließ die Veranstaltung im Lichte königlicher Belustigungen erstrahlen. Kapustins Klavierkonzert Nr. 5 brachte durchgestylten Jazz in temporeicher Verdichtung in die riesige Reithalle, militärisches Ambiente sicherte die Military Sinfonietta der sehr jung verstorbenen Komponistin Vitezslava Kapralova zu, und der Bereich Film wurde durch die Suite „Far and Away“ sowie „E.T.“ von John Williams abgedeckt, wobei das Publikum vor Begeisterung geradezu in Verzückung geriet.
Pianist Frank Dupree, ein erklärter und überzeugter Kapustin-Fan, brachte mit dem Klavierkonzert eine europäische Uraufführung nach Bunderhee – und unkte im Nachhinein: „Dupree in Bunderhee mit dem jpg“ – das sei stimmig. Das Werk mit fünf Sätzen, die in Folge gespielt werden, ist etwas für erklärte Virtuosen. Dupree stemmte die Partitur mit einem Lächeln und setzte noch eins drauf – mit einer bewährten Zugabe, die er aber nun mit Percussionisten des Orchesters anreicherte und dabei selber auch zur Bongo-Trommel griff. Der Jazzstandard „Caravan“ von Duke Ellington erhielt somit eine Auffrischung, die enormen Spaß machte.
Die rund 100 Musiker der jnp entwickelten unter dem freundschaftlichen Dirigat von Kiril Stankow eine enorme Präsenz und eine ebensolche kraftvolle Potenz. Durch die gute Übertragung des Konzertes auf eine Großleinwand kam das Publikum zudem in den Vorzug, nach und nach die Gesichter der Musiker „kennenzulernen“ . Somit entstand ein Band der Sympathie zwischen den jungen Akteuren und dem Saal – eine vorteilhafte Art des Kennenlernens. Das galt insbesondere auch für die Bläsergruppe, die zum Auftakt Händels Feuerwerksmusik unter Leitung von Korbinian Krol wunderbar spritzig spielte.