Kirschnereits musikalisches Universum

Emden. Es war ein großartiges Solo-Konzert mit einem kunstvoll komponierten Programm, voll von komplexen Strukturen, musikalischen Bezügen und einer umwerfenden Durchführung. Matthias Kirschnereit zeigte in seinem Benefizkonzert zugunsten des Van-Ameren-Bürgerbades am Mittwochabend (27. September) in der ausverkauften Neuen Kirche in vieler Hinsicht Superlative auf.

Frei, aber einsam: fotographische Interpretation des Inhalts der Brahms’schen Sonate f-Moll op.5. Matthias Kirschnereit vor vollem Haus in der Neuen Kirche. Bilder: Karlheinz Krämer

Da war Kirschnereits ebenso charmante wie informative Moderation, in der er Johannes Brahms als den Mittelpunkt seines musikalischen Universums begründete und ihm Komponisten-Verehrer aber auch Antipoden gegenüberstellte. Da war sein Spiel, dass ausgereift und gesättigt mit Erfahrungen ist. Da war aber auch seine Uneitelkeit, mit der er den inzwischen wirklich in die Jahre gekommenen Steinway-Flügel zum Vermittler seiner Interpretationen machte.

Der bemerkenswerte Abend begann mit den 16 Walzern von Brahms und endete mit dessen Sonate f-Moll op. 5, zu der Kirschnereit ein besonderes Verhältnis hat. Er hält das Stück, das Schumann als „verschleierte Sinfonie“ bezeichnete, für die musikalische Umsetzung der Brahms’schen Biographie, wobei vor allem deren tragische Aspekte eine Rolle spielen. Anders gesagt: Es wird eine Liebesgeschichte erzählt, die kein glückliches Ende nimmt.

Lust am Spiel und an der Moderation: der Pianist in Aktion

In eben dieser Sonate erreichte das Spiel des Hamburger Pianisten, Rostocker Klavier-Professors und Gezeitenkonzerte-Intendanten endgültig seinen Höhepunkt. Selbst in lyrischen Passagen erhielt das Spiel eine enorme Wucht und Gewichtigkeit. Mehr noch: Die große Dichte emotionaler Momente wurde ausgekostet und in feinsten Nuancen durchgespielt. Dass sich hier ein großer Abend abzeichnete, spürten selbst Zuhörer, die weniger Erfahrung in der Kammermusik haben.

Schon im ersten Teil hatte Kirschnereit den 330 Besuchern einiges geboten. Da stand unvermittelt Debussys „Reflets dans l’eau“ (Spiegelungen auf dem Wasser) neben einer sehr modernen wirkenden „Fantasie“ des Bach-Sohnes Carl Philipp Emanuel – Debussy als Bewunderer von Brahms. Bach als von Brahms Bewunderter. Es folgte der Vertreter der neudeutschen Schule, der Brahms-Antipode Bruckner, mit dem Stück „Erinnerungen“, einer zauberhaft schwebenden, musikalischen Rarität.

Schließlich endete der erste Teil des Abends mit Chopins „Scherzo b-Moll“, einem ungewöhnlich langen Virtuosenstück, das gleichwohl in seinen düsteren Passagen eine schöne Überleitung zur abschließenden Brahms-Sonate bot. – Langer Applaus belohnte eine geradezu athletische Leistung, in der die Musik den anspruchsvollsten Wünschen genügte und zugleich eine fünfstellige Summe für den guten Zweck einspielte. Wieviel das Benefiz genau für das Bürgerbad einbrachte, wird noch bekannt gegeben.