„Ich warne Sie: es wird ungeheuerlich“
Emden. Großes Orchester, großer Solist, großes Programm – das Konzert mit den Bremer Philharmonikern bot vielfältige Superlative auf. In der Martin-Luther-Kirche waren rund 380 Besucher zusammengekommen, um das erste Sinfoniekonzert zu erleben – das erste seit vier Jahren, wie die Leiterin von Kulturevents Emden, Kerstin Rogge-Mönchmeyer, feststellte. Dazu habe der Veranstalter in die Vollen gegriffen und für das Orchester eine kleine Tournee organisiert. Und weil die Zahl der Musiker mit 66 so groß war, dass jeder andere Saal zu klein gewesen wäre – das Festivalhaus am Wall ist ja bekanntlich immer noch nicht fertig – erwies sich die Kirche durchaus als adäquate Alternative. Übrigens auch akustisch. Wer befürchtet hatte, der Nachhall der Basilika könnte dem Musikgenuss hinderlich werden, wurde eines Besseren belehrt.
„Ich warne Sie: es wird ungeheuerlich“, hatte Camille Saint-Saens an seinen Auftraggeber, die Royal Philharmonic Society über das bestellte Werk, die Symphonie Nr. 3 c-Moll, geschrieben. Sie wird als „Orgelsymphonie“ in die Musikgeschichte eingehen. Und das, obwohl die Orgel immer nur Akzente setzt, bis sie dann im zweiten Teil des mächtigen zweiten Satzes der Sinfonie ein himmelhoch jauchzendes, geistliches Thema anstimmt, das dann aber auch schnell wieder sanft verhallt. Aber dieser eine Moment ist so eindringlich wie das „Es werde Licht“ in Haydns „Schöpfung“. Das ganze Werk kulminiert in diesem Augenblick – und alles scheint darauf gewartet zu haben, dass eben diese kurze Spanne eintritt. Das war ganz grandios komponiert.
Aber es wurde von den Bremer Philharmonikern auch ungemein engagiert gespielt. Unter der Leitung der jungen Dirigentin Anna Rakitina gab es keinen Spannungsabbruch. Die Sinfonie mit ihrer lyrischen Eröffnung schien eine Geschichte erzählen zu wollen. Rakitina legte in großen Bögen eine flächige Basis, auf der die Spitzen und Bögen des aufregenden Werkes wie gotisches Maßwerk tanzten. Der Komponist selber hatte gewarnt: „Unglücklicherweise wird sie schwer sein.“ Doch die Bremer ließen die Schwere des Spielens völlig vergessen. Und das Publikum lauschte gebannt diesem außerordentlichen Ereignis, zu dem Organist Christian Schmitt wesentlich beitrug. Er musste dieses Mal die Orgel als Orchesterinstrument spielen, was ihn zur Zurückhaltung zwang, letztlich aber zu diesem wundervollen Moment führte, in dem die Orgel doch die Führung übernehmen durfte.
Begonnen hatte der Abend mit Fauré und der Ouvertüre zu seiner ersten Oper „Pénélope“. Fauré hatte das Werk, das stark mit Wagner’scher Leitmotivik arbeitet, Camille Saint-Saens gewidmet. Somit ergab sich auch ein Roter Faden für das Programm. Die Feinheit der Artikulation legten die Bremer auf emotionale Steigerung an, ehe die Musik wieder mild verklang. Sehr fein wurde dabei die Breite der auf Homer gründenden Geschichte umgesetzt.
Drei Werke des 19. Jahrhunderts: Dritter im Bunde war Tschaikowski mit seiner überwältigend schönen Streicher-Serenade. Allein die Masse der Streicher ließ die Umsetzung zu einem beglückenden Ereignis werden. Der unvermutete Zwischenapplaus der Besucher war zwar gewöhnungsbedürftig, störte die Eleganz der Musik aber nicht, und er irritierte auch Orchester und Dirigentin nicht.
Glücklich zeigten sich anschließend die Veranstalter. Zum einen über die gute Besetzung der Kirche – selbst an der Abendkasse gab es Nachfrage. Dann aber auch, weil nach so langer, ungewollter Abstinenz ein derart großes und qualitätvolles Orchester präsentiert werden konnte. Das sei indes nur möglich gewesen durch die Förderung der Niedersächsischen Sparkassenstiftung und der Sparkasse Emden, sagte Thorben Anders von Kulturevents. Dank ging aber auch an die Lutherische Gemeinde und Kreiskantor Marc Waskowiak, die dazu betrugen, dass Emden einen großen Musikabend erlebte.