Von der Freude am kreativen Gestalten
Emden. In der Hammerstraße macht’s die Mischung. Neben Wohnhäusern und Werkstätten von Handwerkern stehen ehemalige Industriegebäude. Vor einem dieser Gebäude geht es bunt zu. Statt eines Gartens gibt es Installationen, Riesenbilder und Natur in Töpfen, dazu eine große Terrasse. Dahinter ein Komplex, in den die Kunst im großen Stil eingezogen ist: Amuthon-Art. Hier fühlt sich Helmut Müller (Jahrgang 1955) ganz zu Hause. Den weitläufigen Hallen- und Bürokomplex der Firma Korrosionsschutz Müller hat der einstige Firmenchef kompromisslos in ein Haus der Kunst verwandelt – seiner Kunst.
Rund 3000 Arbeiten lagern hier, viele von ihnen sind ausgestellt. Und seit der Betrieb ausgezogen ist, hat Müller, ehemaliger Bausachverständiger mit internationalen Verpflichtungen – vorwiegend in Eigenregie – den gesamten, etwa 800 Quadratmeter großen Komplex in verschiedene Ateliers und eine Galerie verwandelt. Seit 2018 ist hier auch sein Wohnsitz. Er hat sich ein Appartement im ersten Stock eingerichtet und arbeitet, wann und wie er will.
Ihm sei es nämlich völlig egal, was andere von seinem Tun, ihm selbst und seinen Bildern hielten. Auch auf Messen sei er nicht mehr vertreten. Große Ausstellungen in Hannover und in China wurden durch Corona verhindert. Auch das sieht er heute positiv. Für all den Aufwand, der mit den Vorbereitungen auf solche Events zusammenhänge, sei ihm – aus heutiger Sicht – die Zeit zu schade.
Statt dessen öffnet er das Haus täglich und führt hindurch, wer Interesse dafür bekundet. Jüngst war es die Neue Dienstagsrunde von 1820dieKUNST, die sich eingeladen hatte und durch das Kunst-Haus geführt wurde, in dem es nicht nur eine Vielzahl von Ausstellungsräumen gibt, sondern zu dem auch eine gut ausgestattete, gemütliche Kunstbuch-Sammlung in einer weißen Bibliothek gehört.
Müller war an dem Abend dabei, aber die Erklärungen kamen von seiner langjährigen Mitarbeiterin, der Kunsthistorikerin Sarah Byl, die gleich anmerkte, dass „Helmut nicht so gerne über sich selber redet“, weshalb sie diesen Part jetzt selber übernähme. Sarah Byl hat sich vor zwei Jahren selbständig gemacht und in letzter Zeit unter anderem die Hildegard Peters-Ausstellung auf Norderney kuratiert. Sie ist seit dreizehn Jahren bei Amuthon-Art als Fachfrau dabei – erst in der Brückstraße, wo Müller seine erste Galerie eröffnet hatte, dann als Archivarin der Gemälde, und nun als Kennerin der Arbeiten Müllers.
In dieser Funktion konnte sie aus dem Vollen plaudern. Die beiden haben sich in der langen Zeit ihrer Zusammenarbeit gut aufeinander eingestellt, dennoch gibt es einen Punkt, an dem sich die Geister scheiden. Sie möchte die Arbeiten Müllers gerne kunsthistorisch hängen – mit viel Luft zwischen den einzelnen Gemälden. Doch Müller ziehe es vor, die Präsentation mit den Augen des Künstlers zu gestalten. Und das bedeutet: Er möchte möglichst viele Bilder zeigen. Und so wird der Besucher fast erschlagen von der Wucht der starkfarbigen Großformate.
Neben Abstraktionen tauchen im Augenblick vermehrt auch Figurenbilder auf, deren kraftvolle Reduktion auf Zweidimensionalität sie wie Chimären wirken lassen würden, wenn sie sich nicht ihren eigenen Raum allein durch ihr Dasein schaffen könnten. Zwischen den Bildern tauchen bemalte Gefäße auf, die ebenfalls ihre Geschichte haben. Denn beim Umbau des Hauses fanden sich große Vasen und Töpfe, die allesamt unversehrt waren. Also, warum die Dinger wegwerfen, fragte sich Müller und begann, sie zu bemalen. „Wenn andere Leute abends stricken, bemale ich Töpfe.“
Dabei verfolgt er keine Strategie, sondern überlässt sich ganz seinem Gefühl. „Ich denke mir nichts dabei.“ Das kommt offenbar an, denn die Töpfe finden viel Interesse, oder, wie Sarah Byl es ausdrückt: „Sie erfreuen sich großer Beliebtheit.“
In der großen Galerie tritt man die Kunst buchstäblich mit Füßen. Müller habe nämlich für einen Messeauftritt ein Großformat gemalt, das von Anfang an für den Boden gedacht war, um stärker auf den Messestand aufmerksam zu machen. Die Besucher seien fasziniert gewesen, „aber es hat sich niemand getraut, draufzutreten“, amüsiert sich Sarah Byl noch heute. Nun liegt der Teppich in dem größten Raum des Hauses – geschützt durch eine Folie. Aber dennoch müssen die Besucher ermuntert werden, darüber hinweg zu gehen.
Unter der Vielzahl an Atelierräumen fällt das hohe Atelier besonders auf. Es kommt immer dann ins Spiel, wenn Müller an Großformaten wie Bühnenbildern arbeitet. So malte er 2017 zum Walljubiläum ein vier mal sechs Meter großes Gemälde. Dabei kam ihm zustatten, dass sich im Raum eine Hebebühne befindet. Sonst wäre es mit dem Malen schwierig geworden, versichert der Maler. Auch eine Druckwerkstatt gibt es im Gebäude, aber Müller nutzt sie wenig.
„Für Helmut ist das langweilig, weil die Arbeit an der Graphik ihm zu lange dauert“, erklärt Sarah Byl. Müller sei an dem spontanen Akt des Malens interessiert. „Ich arbeite intuitiv direkt auf die Leinwand“, schildert der Kunstschöpfer seine Arbeitsweise später im kleineren Kreis. „Die Kunst ist in mir.“ Er gebe ihr nur Gelegenheit, nach außen zu dringen. Das Ergebnis folge ausschließlich seinem eigenen Empfinden für den Ausdruck. „Ich muss ja nichts verkaufen“, erklärt er seine Abneigung, sich womöglich dem Geschmack eines Auftraggebers fügen zu müssen. Von Verkäufen könne er ohnehin nicht leben.
Besuch hat Müller übrigens viel. Täglich ist seine Galerie von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Und das Angebot in der etwas abseits liegenden Straße, Kunst anzusehen und sich erklären zu lassen, wird zunehmend angenommen.