Kantaten voll innerlicher, inniger Gedanken

Leer. Der Heinrich-Schütz-Chor hatte am Karfreitag zu einer Passionsmusik in die Lutherkirche eingeladen. Auf dem Programm stand ein Werk von Dieterich Buxtehude (1637 bis 1707), das dieser zum Karfreitag des Jahres 1680 geschrieben hatte.

Gut besucht war die Passionsmusik zum Karfreitag in der Lutherkirche zu Leer, durchgeführt vom Heinrich-Schütz-Chor und dem Barockorchester Le Chardon

In dem Zyklus „Membra Jesu Nostri“ werden die Körperteile des Gekreuzigten tin Form einzelner Kantaten hematisiert – und das in aufsteigender Reihenfolge – von den Füßen bis zum Gesicht. Um die Situation zu verbildlichen, könnte man sich also vorstellen, dass ein unter dem Kreuz knieender Mensch beim Blick aufwärts nacheinander über die sieben Körperstellen Jesu nachdenkt. Dabei geht es aber nicht um eine klagende Zuwendung angesichts eines schrecklichen Todes, sondern um eine Betrachtung voll innerlicher und inniger Gedanken. Buxtehude wählt eine mittelalterliche Textvorlage, aus der heraus der siebenteilige Zyklus sich entwickelt.

Die Musik ist verschwenderisch schön und unterstützt den mystischen Charakter der Texte. Unwillkürlich möchte dem Hörer Berninis „Verzückung der Heiligen Therese von Avila“ (1646) in der römischen Kirche Santa Maria della Vittoria vor Augen treten. Oder er könnte sich erinnern an die bedeutsamen Epigramme des schlesischen Mystikers Angelus Silesius, der ebenfalls im 17. Jahrhundert wirkte und Texte hinterließ wie jenen kurzen, aber tiefgründigen Satz „Mensch, werde wesentlich!“ Um dieses Wesentlich-Werden im christlichen Sinne geht es in den Kantaten-Texten, die auf Verehrung, Hinterfragen und Bitten um göttlichen Schutz abzielen.

Mitglieder des Schütz-Chores waren als Solisten eingesetzt, die in unterschiedlicher Besetzung aus dem Sängerkreis heraustraten und die meditativen Texte zu Gehör brachten, während der Chor selber fundamentale Ein- und Ausgangssequenzen intonierte. Das stete Wechseln der Besetzung, das Heraus- und wieder Zurücktreten gelang mit viel Disziplin und schuf formale Sicherheit. Das Barockorchester Le Chardon folgte der historischen Aufführungspraxis und schaffte breiten Raum für die Entfaltung des Chores. Beide Ensembles wurden von Kirchenmusikdirektor Johannes Geßner geleitet, der nicht nur dirigierte und die Basslinie spielte, sondern auch eine Strophe der fünften Kantate „Ad Cor“ sang – und somit selber auch Mitglied des Ensembles wurde.

Der Schütz-Chor zeigte sich sehr präzise vorbereitet. Und auch die Sänger der solistischen Parts waren in der Lage, als Einzelstimmen frei zu agieren. Damit brachten sie eine Vielfalt individueller stimmlicher Charakteristierung in den Zyklus ein, der durchaus reizvoll war. Ein Besucher brachte das Konzert, das wegen des hohen Feiertages ohne Applaus blieb, auf den Punkt: „Schön, aber mutig“, fasste er das rund eineinviertelstündige Programm mit drei Worten zusammen.

Tags:,