Improvisation als Prinzip

Pilsum. Die großartige Grotian-Orgel stand ebenso im Mittelpunkt dieses vierten Abends des 21. Krummhörner Orgelfrühlings wie das Markus-Evangelium. Was Sietze de Vries, ein Dauergast beim Festival, und der künstlerische Leiter, Pastor Siek P. Postma, daraus zauberten, war ein neues Format in dem an attraktiven Programmen nicht eben armen Festival der historischen Tasteninstrumente.

Organist Sietze de Vries an der Pilsumer Grotian-Orgel mit einem Blatt, das ein Leitfaden für die Improvisationen ist. Bilder: Wolfgang Mauersberger

Das Oratorium nach Markus, das hier kreiert und kommentiert wurde, ist ein flüchtiges Ding, da es am Freitagabend (10. Mai) die erste und einzige Aufführung erlebte. Beide, de Vries und Postma, improvisierten – der eine bei der Musik, der andere beim Text. Und dennoch entstand eine wunderbare Einheit von Ton und Wort.


Oratorium heißt „Vertonung einer geistlichen Handlung“. Und so erzählte Postma drei Passagen aus dem Evangelium nach Markus in freier Interpretation. Doch er veredelte den Text literarisch und baute ihn um ein einziges Wort herum auf – das Adverb „jetzt“. Das, was biblisch geschehen ist, geschieht in jedem Augenblick. Erneuert sich aus sich selbst heraus. Ist es Glaube? Ist es Gewissheit?

Siek P. Postma hatte drei Szenen des Markus-Evangeliums für das Oratorium ausgewählt. Im Blick sind dabei das schlichte Pult und die prachtvolle Taufe in Pilsum, die 1469 von Hinrich Klinghe gegossen wurde. Er war der Sohn des Gerth Klinghe, der die Taufe von Groothusen schuf

In der heiklen Balance zwischen diesen beiden Polen entwickelt sich ein Geschehen, das den Rabbi Jesus in einen historisch neutralen Raum stellt. Wann kommt er? Das ist die Frage nach der Wiederkunft des Messias, wie er von den Propheten des Alten Testaments angekündigt wurde. Wann tritt Gott seine Herrschaft an? Diese Frage des Urchristentums ist ebenso verständlich wie müßig. Denn der Zeitpunkt ist zu jeder Zeit: Jetzt!


Diese Zeitlosigkeit des dreieinen Gottes nahm Sietze de Vries in seinen Improvisationen auf und verwandelte sie in edle Musik, die aus einem Impuls heraus entstand und sich zu Präludium, Fuge, Partita und schließlich zu einem Postludium fügte, dem sich Gemeindegesang anschloss. Grandios gemacht von einem Meister auf den Tasten, der das Improvisieren zwar erlernte, der aber solch umfangreiche Formen schafft, dass man nur staunen konnte vor dieser begnadeten Fähigkeit, aus dem Moment heraus vollendete Musik zu kreieren.

Bei jedem Konzert verlässlich zur Stelle: drei aus dem Festivalteam des Orgelfrühlings: Jan-Hendrik Holzkämper, Stefan Stürenburg und Edda Wagenaar

140 Besucher in der voll besetzten Kreuzkirche zu Pilsum zeigten sich begeistert von dem Ergebnis eines Abends, den man so nie wieder erleben wird. Das ist aber auch zugleich der Preis, den Organist und Erzähler zahlen müssen – für eine ganz besondere Form des Zusammenwirkens.