Zerbrechliche Zeugnisse aus Emdens Glanzzeit
Emden. Mit Hilfe einer umfangreichen Förderung der Fielmann Group AG konnte das Ostfriesische Landesmuseum eine Folge von vier Glasbildern aus dem 16. Jahrhundert restaurieren lassen. Sie bekommen nun in den Fenstern der Gemäldegalerie ihren neuen Standort. Dargestellt sind vier Heldengestalten des Alten Testaments. Michael Engels, Leiter der Fielmann Niederlassung in Emden, hat die Relikte aus Emdens großer Zeit nun offiziell an die Gesellschaft für bildende Kunst und vaterländische Altertümer übergeben.
Die vier kleinen Glasbilder gehören zu einer Sammlung, die die KUNST im 19. Jahrhundert begründete, sagte die Kuratorin der Gemäldegalerie, Dr. Annette Kanzenbach, in einem Pressegespräch. Sie lüftete dabei zugleich die ungewöhnliche Art der Auffindung der Artefakte. Sie wurden 2003 wiederentdeckt, als wegen der Renovierung des Landesmuseums die Abseiten des Daches ausgeräumt werden mussten. „Wir entdeckten dabei einen Raum nach dem anderen“, schildert die Kunsthistorikerin die damalige Fundsituation. Die vier Glasbilder waren offenbar schon 1962 in einem Karton deponiert und dann vergessen worden.
Aufgrund der Qualität der Malerei sollte zumindest ein Teil der Scheiben für eine Präsentation in der Dauerausstellung restauriert werden. Das geschah zuvor auch schon mit anderen kleineren Glasbildchen oder Teilstücken aus größeren Fenstern. Sie wurden gesäubert, restauriert und neu in Bleiruten gerahmt. Zur Neueröffnung des Museums erhielten sie einen Platz vor den Fenstern der Gemäldegalerie, so dass sie die Malereien gut zu erkennen sind.
Die deutlich größeren Helden-Fenster kamen zwar auch schon 2003 in die Werkstatt der Glasmalerei Oidtmann in Linnich (Nordrhein-Westfalen). Doch fehlte das Geld, um die Objekte ausstellungsreif machen zu können. So begab sich Annette Kanzenbach auf die Suche nach einem Sponsor – und fand die Museumsförderung der Fielmann AG in Hamburg, die bei Ankäufen, aber auch bei Restaurierungsvorhaben einspringt. Kunsthistorikerin Dr. Constanze Köster kann jährlich einen sechsstelligen Betrag vergeben, um kleinere und mittlere Museen und Sammlungen im Norden zu unterstützen.
Bilder: Wolfgang Mauersberger
Restauriert wurden die Glasbilder in der Glasmalerei Dr. H. Oidtmann GmbH in Linnich (Nordrhein-Westfalen). In der 1857 gegründeten Glasmalereiwerkstatt waren 2005 schon die Emder Rathausfenster von 1576 überarbeitet worden. Seniorchef Dr. Stefan Oidtmann begleitete die fertiggestellten Fenster selber nach Emden. In Linnich hatte man die einzelnen Schritte der Restaurierung akribisch dokumentiert, denn es galt, einige Fehlstellen auszugleichen, einzelne Partien neu zu malen, andere zu retuschieren, denn die Glasscheiben hatten im Laufe der Zeit deutlich gelitten.
Bei der intensiven Beschäftigung mit dem Glas wurde deutlich, dass künstlerische und technische Parallelen zu den großen Rathausfenstern bestehen. Annette Kanzenbach: „Beide folgen dem gleichen manieristischen Kunststil.“ Das bedeutet, dass die frisch restaurierten Figurenbilder ebenfalls ins späte 16. Jahrhundert datiert werden müssen. Und noch mehr. „Sie könnten aus derselben Werkstatt stammen, in der der ausgezeichnete Glasmaler Johan Janssen die auf Repräsentation bedachten Rathausfenster 1576 schuf.“
Johan Janssen war zwar Niederländer, seine große Werkstatt aber betrieb er in Emden. Und vermutlich seien hier mehrere Glasmaler bei der Arbeit gewesen. Dafür sprächen die „souveräne, sorgfältige Malerei, aber auch die kleinen Unterschiede in der malerischen Ausführung“.
Dass die repräsentativen Glasfenster von 1576 in Emden entstanden sind, belegen entsprechende Rechnungen, die sich in den Kämmerei-Akten erhalten haben, erläutert die Kunsthistorikerin. Aufgrund der stilistischen Ähnlichkeiten sei es also wahrscheinlich, dass die kleineren Fenster mit den alttestamentarischen Helden ebenfalls hier entstanden – und zwar für die bürgerliche Wohnkultur. Noch im 17. Jahrhundert gehörten Glasmalereien zur selbstverständlichen Ausgestaltung der Wohnräume. Kanzenbach schließt daraus: „Die jetzt restaurierten Bilder hingen wahrscheinlich in einem Emder Privathaus.“
Mit ihrem sparsamen Kompositionsaufwand seien die feinen Glasbilder relativ kostengünstig und für eine bürgerliche Käuferschicht erschwinglich gewesen. Die Kuratorin geht sogar noch weiter und vermutet, dass womöglich Mitglieder des Emder Rates die Glasfenster gekauft hätten, um etwas ähnliches wie die farbigen Prachtfenster im Renaissance-Rathaus auch bei sich zu Hause zu haben. Dies umso mehr als das Figurenprogramm „nicht nur von humanistischer Bildung“ künde, sondern auch motivisch an die historischen Emder Rathausfenster anknüpfe.
Mit König Joasch (Joas), König Joschafat (Josapath), König Salomo (Salomoen) und Richter Jiftach (Jeffta) seien biblische Helden verbildlicht, die in der Darstellungstradition der „Neun Helden“ stünden. Diese verkörperten – seit dem hohen Mittelalter an öffentlichen Plätzen und in bald unterschiedlicher Zusammenstellung – maßgebliche Positionen vorbildlichen Handelns – ganz so wie die Glasbilder am historischen Emder Rathaus beispielhafte Vertreter für Weisheit und Gerechtigkeit vor Augen führen.
Das Fazit von Annette Kanzenbach: „Die restaurierten kleinen Glasgemälde gehören also zu den seltenen Zeugnissen, die uns heute noch von der hochstehenden Lebens- und Wohnkultur Emdens in der künstlerischen und wirtschaftlichen Blütezeit im 16. Jahrhundert berichten können.“
Dennoch war es gar nicht so leicht, die Arbeiten überhaupt zu erledigen, sagte Stefan Oidtmann. Die Glasmalerei leide nämlich auch unter Personalmangel. Um die Emder Glasfenster restaurieren zu könne, sei der bereits im Ruhestand befindliche, langjährige Mitarbeiter der Firma, Sebastian Slaby, eingesetzt worden. Dessen Berufserfahrung sei immer noch unverzichtbar für die aufwändige Detailarbeit, die nötig war, um die Fehlstellen zu rekonstruieren.