Das Ästhetische im Profanen

Emden. Die Kunsthalle Emden eröffnet am Sonnabend, 18. Mai, um 18 Uhr die neue Ausstellung „Die Schönheit der Dinge – Stillleben von 1900 bis heute“. Ausgehend von eigenen Werken zeigt die neue Ausstellung insgesamt 80 Arbeiten. Deutlich wird dabei die Vielfalt, mit der die heutige Kunst das Thema immer wieder neu variiert und in neuen Werkstoffen präsentiert.

Lisa Felicitas Mattheis vor „Stockage“ von Luzia Simons. Bilder: Wolfgang Mauersberger

Es beginnt alles geradezu klassisch – mit einem kurzen Blick in die barocke Auffassung. Symbole der Vergänglichkeit zeigt das Vanitas-Stillleben von Abraham Susenir aus der Mitte des 17. Jahrhunderts, eine Leihgabe des Ostfriesischen Landesmuseums. Susenir war ein niederländischer Maler aus dem Goldenen Zeitalter. Zugesellt hat Kuratorin Lisa Felicitas Mattheis ihm höfisch aussehende Stilleben-Kunst in Grau, die erst auf den zweiten Blick ihre Modernität offenbart, weil sich über einem prachtvollen herrschaftlich blickenden Pfau Zugaben wie Handy und Zigarettenkippen in einem Ascher finden. Hier zeigt Hans Op de Beeck in mehreren skulpturalen Werken seine Auffassung des Stilllebens.

Video mit Obst und Gemüse von Ori Gersht. Der Granatapfel ist gerade „zerschossen“ worden

Nach diesem Blick in die Historie und auf die Möglichkeiten der Übertragung von Einzelmotiven in die Jetztzeit sowie deren Aktualisierung legt die Kunsthalle so richtig los. Das Stillleben als autonomes Motiv der Kunst wird in jeder denkbaren Weise durchdekliniert – als Malerei, als Skulptur, als Video, als Fotographie, als Mosaik, als keramische Arbeit. Es gibt viel zu sehen in dieser Ausstellung. Da gibt es einen Paravant und mehrere Einzelbilder von John McAllister, der Blumenmotive in zarten Pastelltönen nahezu flächig präsentiert.

Grau, aber eindrucksvoll – dreidimensionale Vanitas-Stillleben von Hans Op de Beeck

Man erkennt ein Stillleben in Brauntönen und sieht erst beim Näherkommen, dass da ein Mosaik auf eine Leinwand gebannt und von moderner Fotographie hinterfangen wird. Eine Riesenwand ist für ein einziges Gemälde reserviert: Luzia Simons‚ „Stockage“, eine Arbeit, die mit den barocken Blumenstillleben spielt. Matthias Langer zeigt Fotoarbeiten, die per Langzeitbelichtung aufgenommen wurden. Das Motiv: eine Kerze, die von der Kamera beim Abbrennen beobachtet wird. Auf einer angedeuteten Fensterbank stehen keramische fleischfressende Pflanzen in vielfältigen Farben von Gerrit Frohne-Brinkmann. Ein dreiminütiges Video von Ori Gersht zeigt ein Küchenstillleben mit einem Granatapfel, der von einer Kugel getroffen wird, so dass die im Zeitraffer auseinandersprühenden Kerne sich scheinbar in einen roten Regen verwandeln.

Wunderschön bemalt: zerfließendes Porzellan-Objekt von Livia Marin

Livia Marin beschäftigt sich mit „Broken Things“. Sie überführt Scherben von fein bemaltem Porzellan in „Pfützen“ aus demselben Material, wobei sie die zarte Blumenmalerei des Objektes in die scheinbar verflüssigten und zerfließenden Scherben hinein fortsetzt. Ein verrätseltes Werk von Kai Fischer kommt in Gestalt eines Bons für den Kauf von Blumen daher. Er führt darin jene Blumen auf, die sich in einem Stillleben von Breughel befinden und setzt damit eine qualitativ hochwertige Fertigkeit der Gestaltung von Blüten in eine nüchterne Kaufrealität um. Dabei weist der riesige Zettel eine Fülle von Informationen auf, die man erst nach und nach entschlüsseln kann.

Zwei Künstler, die in der Stillleben-Ausstellung der Kunsthalle dabei sind: Christoph Girardet und Matthias Langer

Höchst heikel sind drei Installationen von Nicole Wermers mit dem Titel „Abwaschkultur“. Auf hohem Podest stehen Geschirrspülkörbe, die so voll bepackt sind, dass, wenn man nur einen Gegenstand berührt, alle anderen herunterfallen. Eineinhalb Tage brachte die Künstlerin in der Kunsthalle damit zu, Tassen, Kummen, Teller, Messer, Obstkörbe und sonstige Utensilien in die fragile Lage zu bringen. „Hier sah es zeitweilig aus wie auf einem Flohmarkt“, kommentiert Lisa Felicitas Mattheis trocken.

Die wissenschaftliche Direktorin der Kunsthalle und zugleich Kuratorin der Ausstellung hatte zuvor ihre Motivation für die Ausstellung benannt. Sie wolle die künstlerische Vielfalt der Stillleben-Malerei in der Jetzt-Zeit aufzeigen. Damit auch den Blick der Betrachter schulen, und die ästhetischen Momente im Banalen aufzeigen. Wenn die Besucher hinterher auf die Straße gingen und in einem überfüllten Müllkübel eine gewisse Schönheit entdeckten, dann habe die Ausstellung ihr Ziel erreicht.

Abbrennende Kerzen von Matthias Langer, Laserbelichtung auf Fotopapier

Mattheis erinnerte aber auch an die Geschichte des Stilllebens, das als autonome Bildgattung ab etwa 1600 existiert – und zwar tauchte diese Gattung zeitgleich in ganz Europa auf. Die Direktorin machte dies am Aufkommen einer „neuen Bürgerschaft“ fest. Kaufleute und Händler, die sich den heimischen Wohnbereich verschönern wollten und dafür dekorative Bilder suchten, befeuerten die Nachfrage.

► Die Ausstellung ist bis zum 10. November zu sehen. Geöffnet ist die Kunsthalle Di bis Fr 10 bis 17 Uhr, Sa und So, sowie Feiertage 11 bis 17 Uhr, Mo geschlossen