Ein denkwürdiger Abend!

Leer. Ein ganz und gar ungewöhnlicher Abend. Fazil Say und Friedemann Eichhorn gestalteten ein Konzert, das in Erinnerung bleiben wird. Es gab Kammermusik für Violine und Klavier. Es dauerte zwei mal 35 Minuten. Aber diese 70 Minuten hatten es in jeder Weise in sich. Denn Fazil Say zeigte sich darin als Pianist, als Arrangeur und als Komponist von hohen Graden, dem sein Partner in Nichts nachstand..

Friedemann Eichhorn und Fazil Say in der Großen Kirche Leer. Bilder: Karlheinz Krämer

Der Komponist Say hatte sich mit einem Politikum beschäftigt: der Abholzung eines großen Teils des Ida-Gebirges. Rund 200 000 Bäume wurden gefällt. Say hat aus Protest gegen diesen Naturfrevel eine dreisätzige Sonate geschrieben, die das Thema ganz unmittelbar vor Augen führt. Es beginnt mit dumpfen Klavierklängen, die die Geige in jammernder Klage zerreißt. Töne lösen sich aus Pizzicato-Passagen heraus, schreiend, verzweifelt, tosend. Dann wieder ergeht sich die Violine in Vogelgezwitscher. Der zweite Satz hat begonnen.

Nach der „Zerstörung der Natur“, dem deskriptiven ersten Satz, steht der nächste unter dem Motto „Verletzter Vogel“. Im dritten entsteht ein wildes Getümmel zwischen beiden Instrumenten, das sich langsam auflöst und jazzig wird. Auch folkloristische Töne schimmern durch, und der Vogel ist auch dabei, denn es gibt ein „Hoffnungsritual“, so ist der letzte Satz betitelt.

Kleine Pause im schönen Kirchgarten

Diese Erzählstudie ist voller Inbrunst und Anteilnahme, schicksalsgesättigt, aber dann doch wieder versöhnlich aufgelöst. Sie enthält humanes Potential, das heute an so vielen anderen Stellen fehlt. Und deshalb greift sie so tief ins emotionale Befinden ein. Es gab noch eine Zugabe: das Andante aus einer anderen Sonate Says. In der Methodik verlief das ähnlich wie bei der Sonate Nr. 2. Doch es war eine mildere Version – allerdings nicht weniger eindrucksvoll.

Das Konzert begann mit Schumanns Sonate Nr.1 in a-Moll op. 105. Und schon dieser Einstieg war ein gelungenes Beispiel für die Intensität des Spiels der beiden Virtuosen, die währenddessen den Eindruck machten, als seien sie in eine andere Welt abgetaucht. Richard Wagners „Vorspiel und Isoldens Liebestod“ entwickelte sich unter den Händen der beiden Musiker in eine herzzerreißende Klage, in die sich – wie eine immer wiederkehrende Frage – ein musikalischer „Absturz“ einfügte.

Über den Dächern von Leer: im Vordergrund die Große Kirche

Eigentlich war die komplette Sonate a-Moll mit dem Motto „F.A.E.“ für „Frei, aber einsam“ ein Gemeinschaftswerk von Dietrich / Schumann und Brahms geplant. Doch dann entschieden sich Say und Eichhorn, nur den Brahms’schen Beitrag zu diesem Werk, das Scherzo. Allegro, zu spielen. Vertraute Klänge, die ein wohliges Gefühl erzeugen, und die mit energischer Dynamik, aber auch mit flottem Tempo präsentiert wurden. Ein denkwürdiger Abend!